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Nicht für dumm verkaufen lassen
Seit Max Eberls Ausscheiden aus dem Profigeschäft („Ich will mit diesem Fußball nichts mehr zu tun haben“) und dem merkwürdigen Wechsel zu einer seiner „Traumvereine“ Red Bull Leipzig, haben wir uns jeder Kommentierung entzogen. Zu sensibel ist die Gesundheit eines Menschen, zu spekulativ die Interpretation seiner Beweggründe. Kurzum: Wie es Max Eberl geht, geht uns nichts an. Und dass Max Eberl auftritt, als „hätte er eine Gehirnwäsche hinter sich“, ist nicht nur typisch FOCUS online, sondern auch gefährlich. Und soll das auch niemand mit der Grauzone begründen, Eberl sei schließlich eine Person des öffentlichen Lebens.

Trotzdem lässt sich konstatieren, dass kaum eine Woche vergeht, ohne dass eine Eberl-Aussage für Fremdscham, Unverständnis und Lacher sorgt. Umso mehr denkt man: Ok, er fährt eben einen anderen, sehr strangen Film, doch warum steht er immer wieder vor jenen Mikrofonen, die ihm doch ach so böse zusetzten? Ausgerechnet der Bild schilderte er, wie sich Leere anfühlt, im Dopa verteidigt er das wechselseitige Bettgehüpfe von Spielern zwischen Leipzig und Salzburg. Der Druck der Medien? Sind natürlich die Medien schuld, von Selbstreflexion keine Spur. Und nicht nur das, denn dass „Leipzig nochmal über Gladbach (ist)“, sollte dann doch jeder Fohlen-Fan mit einem Ellbogenhieb wissen.
Nun wurde er als Studiogast vom ZDF für das aktuelle Sportstudio ausgeladen. Der Grund: Eberl will nicht, dass ihm Fragen zu seinem Ex-Klub Borussia Mönchengladbach gestellt werden und „bestimmte Themen“ ausgeklammert werden sollten. Warum nicht? Weil laut Eberl alles dazu gesagt sei. Mehr kann er nicht offenbaren, welche Denke er von Red Bull in nur kurzer Zeit übernommen hat: Mit wem wir reden, bestimmen wir, was wir gefragt werden, bestimmen auch wir. Diese Firmen-DNA ist abseits der Stadtgrenzen Leipzigs hinlänglich bekannt. Wann etwas vorbei ist, bestimmt also Max Eberl im Doppelpass oder via Leipziger Volkszeitung und eben nicht Fans von Borussia Mönchengladbach oder gebührenzahlendes Fernsehpublikum, das ein Recht auf kritische Berichterstattung hat. Wie Eberl eben selbst sagte: „Man soll sich immer bewusst sein, was man da mit dem Menschen und seinem Umfeld tut.“
Es ist daher vollkommen richtig, diesem Wunsch nach Selbstdarstellung nicht zu entsprechen. Wo kämen wir da hin? Max Eberl will sich die Welt machen, wie sie ihm gefällt. Das kann und soll er privat in voller Freiheit auch tun, ist aber mitnichten auf seine aktuelle Funktion zu übertragen. Ganz im Gegenteil: verlieren wir den Wunsch nach Aufklärung darüber, was in den Vereinen los ist und was Einzelpersonen in ihnen betreiben, ist jede Identifikation und jeder Stadionbesuch ad adsurdum geführt. Dann würde man endgültig der abgelutschten Phrase entsprechen, nicht mehr Fan, sondern nur noch Kunde zu sein. Deshalb gilt es dagegen anzugehen und zu sagen: So nicht, Max Eberl! Denn wie sagten Sie doch bei Sky, als Sie vehement Strafen für PSG forderten: „Wir brauchen uns nicht für dumm verkaufen lassen.“
Bilder und Spiele, die keine sein sollten
Auch ein Tag später fällt es schwer, zu den bangen Minuten um Christian Eriksen etwas zu sagen. Heute aufgewacht und der erste Gedanke war: er hat’s geschafft! Nur das zählt. Und so starten heute wahrscheinlich weltweit Menschen in den Tag, die gestern live vor den Fernsehern für Eriksen die Daumen gedrückt haben. Eriksen ist kein Einzelfall, sondern einer von vielen Spielern, die auf dem Platz das Bewusstsein verloren, kollabierten oder plötzliche Herzattacken erlitten. Patrick Ekeng überlebte das unter skandalösen Umständen nicht, bei Abdelhak Nouri wurden nach einem künstlichen Koma bleibende Hirnschäden festgestellt, die Liste lässt sich erschreckend weit fortführen. Davon zu lesen oder hören ist schlimm genug, es live mitzuerleben furchtbar. Wir können für uns nur sagen, dass wir so etwas noch nie direkt miterlebt haben, die Bilder werden wir nie mehr vergessen. Alles, über das man im Fußball einmal geschrieben, geschimpft oder nach einem 0:3 bei Minusgraden geflucht hat, ist plötzlich so weit weg wie Planeten. Bei anderen kamen wiederum sofort Erinnerungen hoch, so schrieb Altravita-Blogger und Italien-Experte Kai Tippmann gestern via Twitter: „Ich habe noch Horror von der Radioübertragung, als [Piermario] Morosini gestorben ist. Niemand braucht Bilder davon.“ Und damit wären wir beim ersten von zwei Themen, die in der Nachbetrachtung thematisiert werden sollten.

Béla Réthys Schweigen
Es ist unerklärlich, wie eine Regie in dieser Situation so lange und penetrant Bilder des am Boden liegenden Eriksen zeigen konnte. Das machte wütend und fassungslos zugleich. Im Netz wurden zurecht Beispiele zu vergleichsweise völlig harmlosen Bildern wie Flitzern und Pyrotechnik geknüpft, deren Übertragung sonst gezielt unterbunden wird. Der Gipfel des Unsäglichen war schließlich das Zeigen von Eriksens Ehefrau. Das war so ekelhaft, dass einem fast schlecht wurde. Hingegen hat sich das ZDF, in persona vor allem Béla Réthy und Jochen Breyer, im Ganzen sehr seriös verhalten und mit der Abschaltung der Übertragung angemessen reagiert. Ja, das hätte durchaus auch einige Minuten früher passieren können, doch sollte sich bei aller Kritik vor Augen gehalten werden, wie schwierig und fordernd ein solcher Job mitsamt Entscheidungen in dieser Situation ist. Dass Béla Réthy sich indes für Schweigen entschied und dies nachvollziehbar wie empathisch kommunizierte, unterstreicht dieses professionelle Verhalten. Béla Réthy wird oft ob seiner fußballerischen Expertise als Kommentator von „gestern“ kritisiert, darüber lässt sich streiten. Worüber sich nicht streiten lässt: Als Eriksen um sein Leben kämpfte, tat die Erfahrung und Stimme Réthys gut. Es sind jene Momente, in denen seriöse Berichterstattung sicht- und hörbar wird.
Spiel fortsetzen oder nicht?
Über einen zweiten Punkt wurde unter anderem in den sozialen Medien bereits gestern teils sachlich, teils haarsträubend debattiert und geurteilt: War es richtig, das Spiel fortzusetzen? Allein die Frage war für uns zu diesem Zeitpunkt eine absurde. Viel präsenter und logischer waren die Überlegungen, inwiefern ad hoc bezüglich Russland gegen Belgien entschieden werden und ob es mit der EM überhaupt weitergehen sollte. Als dann die Nachricht kam, dass sich beide Mannschaften auf eigenen Wunsch für die Fortsetzung der Partie geeinigt hätten, war das kaum zu glauben. Und das ist auch am Tag danach noch so. Wir schließen uns diesbezüglich klar den Aussagen Christoph Kramers und Per Mertesackers an: die UEFA hätte intervenieren und das Spiel abbrechen müssen. Doch klar ist auch: Es ist keine selbstverständliche oder gar leichte Entscheidung, dem Anliegen der Spielfortsetzung von Seiten der dänischen Mannschaft, insbesondere nach dem Austausch mit Christian Eriksen, nicht nachzukommen.
Kasper Hjulmand stellte indes noch einmal klar, dass es keinen Druck von Seiten der UEFA gegeben habe. Desweiteren schildert Hjulmand, dass sich die Spieler nicht vorstellen konnten, die Partie am Sonntag um 12 Uhr nachzuholen: „Es war besser, es gleich zu machen.“ Kasper Schmeichel erklärte dabei vor allem das Problem, dass „die Spieler sich sicher waren, heute nicht mehr schlafen zu können. Morgen zu spielen, hätte die Situation noch schwerer gemacht.“ Im Nachhinein muss man resümieren, dass bei allem Glück im Unglück ein Reihe unglücklicher und falscher Entscheidungen getroffen wurden. Simon Kjaer bat um seine Auswechslung, weil ihm als enger Freund Eriksens ein Weitermachen unmöglich war. Ein stellvertretendes Beispiel dafür, wie schwer die Last in Köpfen und Füßen der dänischen Mannschaft nach Wiederanpfiff war. Die Entscheidung hätte schützender Natur sein sollen: bis hier und nicht weiter. Man stelle sich eine weitere schwere Verletzung oder die Nachricht eines gesundheitlichen Rückschlags bei Eriksen vor. Man mag gar nicht dran denken.
Innehalten statt Urteilen
Was uns bei aller Emotionalität jedoch auch umtrieb, waren die schnellen Urteile im Netz. Noch bevor klar war, dass die dänische Mannschaft um eine Fortsetzung bat, war die UEFA bereits der Buhmann. Das macht die Entscheidung der Spielfortführung nicht besser, doch rückt sie mit etwas Abstand zumindest in ein anderes Licht. In einer solchen Situation direkt Schuldige auszumachen und sich binnen Minuten auf digitalen Wegen darüber zu äußern, was falsch oder richtig sei, ist schlichtweg unangebracht. Besonders absurd war, dass einige User*innen in ihrer Argumentation pro Abbruch die Situation mit den Anschlägen von Paris oder dem Attentat auf den BVB-Mannschaftsbus verglichen, was nicht einmal ansatzweise Äpfel und Birnen sind zu der gestrigen Situation im Kopenhagenener Stadion. Ganz besonders da gilt es doch zu differenzieren. Niemand, außer den unmittelbar Beteiligten, konnte sich in diesen Augenblicken ein klares Bild von der Situation machen. Selbst Béla Réthy meldete sich erst lange nach Abpfiff zu der Entscheidung der Spielfortführung, nachdem er mit Betroffenen gesprochen und die Hintergründe prüfen konnte. Innehalten und einziges Mal nichts meinen, spekulieren oder kommentieren. Ein Mensch erlangt vor (leider) laufenden Kameras sein Leben wieder. Wann lohnte es je mehr, eine Nacht über Urteile und Meinungen zu schlafen?