Kategorie: Kulturflanke

Kicker-Cover: Was sehen wir?

Kicker um 2023, Öl auf Leinwand, unsigniert, Neues Museum Nürnberg

Schauen wir gemeinsam auf das kicker-Cover mit Nagelsmann und Tuchel, so stellen wir fest: wenig Inspiration, aber solides Handwerk. Was steckt also drin in diesem Bild?

Zunächst die Frage, die am Anfang jedes kulturwissenschaftlichen Popkultur-Seminars durch den Raum stinkt: Was sehen wir? Wir sehen zwei Männer im Porträt, die hinsichtlich Farbe und Mimik im Kontrast zueinander stehen. Ihre Köpfe sind zwar mit der gleichen Größe bedacht, doch steht die Person links bereits hinter der Schulter der Person rechts. Und während Nagelsmann mit einem Blick nach oben bereits fragend und staunend das Himmlische erwartet, schaut uns Tuchel mit dem selbstsicheren Grinsen eines Wahlkreissiegers von Barmbek-Uhlenhorst an.

„Anfang und Ende“ funktioniert indes als geschickte Anspielung auf das malerische Oxymoron „Lebbe geht weida“ des Künstlers Dragoslav Stepanović. Links zudem der ikonisch geöffnete Mund von Edward Munchs „Der Schrei“, rechts der selbstbewusste, aber nicht überhebliche Blick der Mona Lisa. Auch farblich wurde penibel auf Polarität geachtet. Wird Nagelsmann mit der Ästhetik einer missglückten Traueranzeige beschenkt, badet Tuchel in den adaptierten Worten Andi Möllers: Sepia oder Valencia, Hauptsache Wärme!

Doch was wissen wir Typen aus der Kurve schon von Gestaltung! Daher reichten wir das Cover an den Experten und Grafikdesigner Julian Hennemann weiter, der uns gerne auf die Sprünge half: „Boah, ey, Montag, ich bin für so ein Quatsch noch nicht ganz… Wochenende war nicht ohne. Aber ja, ganz ehrlich – da passiert ja nicht viel. Klar, ich weiß sofort, worum es geht, aber mehr auch nicht. Technisch gesehen super freigestellt und alles schön in Szene gesetzt. Auch von der Bildkomposition her alles sauber, aber ich hätte halt nicht solche Riesenköpfe genommen. Und wenn doch, dann im Face-Off-Stile von John Travolta und Nicolas Cage. Ja, das wäre es bei mir geworden: im Körper des Feindes!“

Von Lodda bis Kahê

Alles klar, Leute, bitte jetzt ganz genau zuhören, denn Wissen ist schließlich Macht! Heute vor 99 Jahren wurde Athletico Paranaense gegründet. Den Verein kennt man nicht nur durch seinen offen rechten Support für Jair Bolsonaro, sondern vor allem durch Lothar Matthäus, der bei den Schwarz-Roten von Januar bis März 2006 als Trainer glänzte und davon einen Monat Sperre wegen Schiedsrichterbeleidigung absaß. Beeindruckend!

Skandal! Ein Deutscher in Brasilien

Unvergessen natürlich auch Paolo Rink, der schon in der Jugend für Paranaense einlochte und 1997 von den Spähern Reiner Calmunds ins ähnlich schöne Leverkusen mitgenommen wurde. Heute betreibt Rink dort eine Farm, aber das ist eine andere Geschichte. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass er genauso viele Länderspiele für Deutschland wie Ligaspiele für Energie Cottbus absolvierte (13) und dann nach einem Jahr mit Ede Geyer verständlicherweise ins warme Nikosia floh.

Aktueller Paranaense-Coach ist Brasiliens Weltmeistertrainer Luiz Felipe Scolari. Der trainierte übrigens schon Michael Ballack beim FC Chelsea, der wiederum unter Otto Rehhagel zu seinem ersten Bundesligaspiel kam, der wiederum mit Griechenland bei der EM 2004 gegen Portugal im Finale gewann, das damals wiederum von Scolari trainiert wurde. Das gehört aber eher in der Kneipe auf den Tisch.

Viel wichtiger ist zu wissen, dass die Heimstätte mal Kyocera-Arena hieß und zwar im gleichen Zeitraum, als Kyocera Hauptsponsor von Borussia Mönchengladbach war. In diesem Fohlen-Trikot lief damals auch der brasilianische Sturmtank Kahê auf, der von Ponte Preda kam, das wiederum mal von Paulo César Carpegiani trainiert wurde, der wiederum mal Trainer von Paranaense war. Das ist aber eine andere Geschichte.

„Packen sie es, machen sie aus Wembley Woodstock“

+++ Spoiler: Es folgt ein Text voller Fisch-Phrasen, Meertaphern und abgedorschenen Kaalauern +++

Wir gestehen vorab: wir lieben Grimsby. Obwohl das nicht so ganz richtig ist. Korrekt wäre zu sagen: wir lieben die Fans von Grimsby. Und die werden heute alle so heiß sein wie frittierter Fisch. Denn als erster Viertligist in der 152-jährigen Geschichte des FA Cups schlug Grimsby Town FC fünf höherklassige Teams und steht im Viertelfinale. In der letzten Runde hatten die Mariners mit einem 2:1-Sieg beim Erstligisten Southampton ein Wunder vollbracht. Mit an Bord hatten sie 4000 durchgeknallte Fans, denen 720 Km an einem Mittwoch eine Selbstverständlichkeit waren. Wie sich das anfühlte? Seht selbst via Twitter: https://t1p.de/kvsgq

Nun scheint dies auf den ersten Blick nicht so unglaublich und ungewöhnlich. Der Pokal hat schließlich seine eigenen Netze und Wunder gibt es immer wieder. Doch schaut man sich Grimsby und seine Fans unter der Lupe an, erkennt man elementare Unterschiede zu vielen anderen kleinen Fischen. Denn was oberflächlich als das klassische Märchen eines Underdogs erscheint, ist unterhalb des Meeresspiegels eng mit einer Geschichte des Verlierens abseits von Fußballplätzen verbunden. In Grimsby zu leben heißt landesweit dem Klischee der Zahn- und Ahnungslosen zu entsprechen. Außenseiter zu sein kennen die Grimsbarians also nicht nur aus dem FA Cup.

Es ist aber nicht der Millwall-Mittelfinger, mit dem gegen Gott, West Ham und die Welt gekämpft wird. „No one likes us, we don’t care“ ist nicht das Bild, das die Fans der Mariners verkörpern. Stiernacken und Schlagring weichen hier aufblasbaren Fischen (und Krabben, Dildos, Kakteen, Rollatoren). Außenseitertum wird hier nicht mit nacktem Hass sondern Humor gefüttert, sich selbst nicht ernst sondern aufs Korn zu nehmen, ist die einzige Lösung. Diese Selbstironie ist das Rezept für den Alltag, denn während sich anderswo im britischen Fußball alles um die Frage nach Optimierung dreht, geht es für viele Fischer der 90.000-Einwohnerstadt ums Überleben.

Auch deshalb wirkt Fußball in Grimsby wie eine Wundsalbe. Und die Wunden könnten nicht größer sein. Einst war Grimsby die bedeutendste Fischereistadt des Königreichs, in den 50er Jahren gar der größte Fischerhafen der Welt, die Fischer nannte man „Three Day Millionairs“. Und die gaben ihr Geld nicht in London oder am Strand von Brighton aus, wo Lords und Ladies flanierten, sondern ließen es in Grimsby. Stadt und Bürgern ging es prächtig, Stolz und Identifikation gaben sich die Flosse. Was für eine Zeit, petri geil!

Und heute? 70 Prozent der Grimsbarians stimmten für der Brexit, obwohl die Menschen dort traditionell die Labour-Partei wählen und die Gegend in Großbritannien als „Rote Wand“ bekannt ist. Boris Johnson machte sich den Frust der Fischer zum Nutzen: endlich nicht mehr abhängig sein von Brüssel, dachten sich viele auf Grund gelaufene Seelen. Inzwischen ist die Stimmung wieder anders, von den Tories fühlen sich viele betrogen und benutzt. Dem Versprechen des Aufschwungs folgten Ernüchterung und Aufgabe, Alkoholismus ist ein trauriges Thema. 2019 wurde Grimsby zum „worst place to live in the UK“ gewählt. Wer in dieses Thema tiefer abtauchen möchte, dem empfehlen wir ein Arte-Doku über die Fischer von Grimsby: https://t1p.de/actyy

Umso mehr ist nachvollziehbar, welch wichtigen Platz der Fußball hier einnimmt. Das kennt man in Deutschland aus dem Ruhrgebiet, wo Fußball früher zwischen all den Schloten über Generationen hinweg die einzige Sehenswürdigkeit war. Und was sagen die Pöttler heute noch gerne wie heimatliebend? Woanders is‘ auch scheiße!

Natürlich hingt der Vergleich ein wenig, doch ob Zechenschließungen oder kaputte Fischernetze: Strukturwandel bringt nicht nur Chancen, sondern für sehr viele Menschen auch Leid. Dennoch ändert es zwar das Leben der Menschen, doch nicht ihre Liebe zur Heimat. Das hat auch Kollege und „Junge aus Castrop“ Ron Ulrich erlebt, als er 2020 für eine 11Freunde-Reportage ein Wochenende in Grimsby verbrachte. Kurz vor dem heutigen FA-Cup-Highlight fragten wir ihn rückblickend:

Ron Ulrich, als Sie damals aus Grimsby zurückkehrten, grinsten Sie drei Tage lang durch. Was hatten die Menschen dort mit ihnen gemacht? „Was mir am englischen Fußball und an Grimsby speziell immer so imponiert, ist diese Natürlichkeit, mit der sich alle selbst auf die Schippe nehmen: We only sing when we‘re fishing / clap, clap fish oder der sensationelle Titel des Fanzines Cod Almighty (allmächtiger Kabeljau). Hier in Deutschland reagierten auch viele etwas befremdlich auf die Schilderungen und Fotos meines Besuchs. Doch die Leute in Grimsby haben es sich übersetzen lassen und fanden es total super. Grimsbarians sind einfach sehr herzlich, selbstironisch und ekstatisch beim Feiern. Wenn sie es wirklich packen, machen sie aus Wembley Woodstock!“ Seinen Ritt könnt ihr hier in Gänze nachlesen: https://t1p.de/jkmhj

Heute werden erneut die Segel gesetzt. Der Gegner kommt wieder aus Liga eins und heißt Brighton & Hove Albion, wieder sind es 720 Km, nur die Zahl der Grimsbarians wird noch größer sein. Der daheimgebliebene Rest wird ab 15:15 Uhr die Pubs in Grimsby füllen oder an der Mündung des Humber sitzen und zum Klabautermann beten. Für Halbfinale, Fisch und eine bessere Zukunft.

Mit dir fing alles an

Haben jetzt mal „Die Figo-Affäre“ auf Netflix geschaut. Die Hoffnung, kein Hochglanz-Porträt mit Drohnenflügen über Anwesen und Superzeitlupen zu sehen („Kroos“, „Schweinsteiger“), wurde nicht zerstört. Mehr noch: Wer glaubt, nur ein Retro-Dokument für Nostalgiker präsentiert zu bekommen, wird eines Besseren belehrt.

Die Doku schafft den Transfer zwischen den Anfängen Florentino Pérez‘ und dessen heutigen Super-League-Ambitionen. „Luis, mit dir fing alles an“, ist ein wichtiger Satz in den 100 Minuten, die durchaus aus weniger hätten sein können. Figo ist dabei das Instrument, um die Verhältnisse in Spanien wieder gerade zu rücken. Die eigentlichen Protagonisten sind in ihrem Streben nach Macht Egomanen, lügen und hintergehen. Und inmitten dieser auch medialen Schlacht reißen die alten Fragen nach Identität auf. In Madrid handeln sie wie die Schergen Francos, in Barcelona basteln sie hochemotional an neuen Helden der Unabhängigkeit. Dabei rückt auch Pep Guardiola als bester Freund Figos in ein interessantes Licht.

In Summe lohnt sich der Klick also, weil die Doku vom gängigen Schema des Porträts Abstand nimmt und stattdessen Systeme offenlegt, die den heutigen Transferwahn gleich miterklären.

Schicksal, also los!

Warum wir englische Fußballkultur lieben? Klar, da gibt es die bekannten Dinge wie das biblische Alter gewisser Stadien oder die angemessene Huldigung ehemaliger Spieler. Und klar haben auch der ein oder andere Pie mit aufgetauten Innereien oder die Spontanität für strophenlange, äußerst humorvolle Gesänge dazu beigetragen. Hin und wieder war man auch froh, dass ein blanker Oberkörper dem Dresscode entsprach. Doch was wir wirklich lieben, sind diese kleinen, aber sehr feinen Unterschiede in der Einstellung zum rein Sportlichen.

(Foto: Schottische Furche; Barnet F.C., 2012)

Als zum Beispiel gestern Everton im FA Cup auf Boreham Wood traf, erinnerten wir uns an ein längeres Gespräch mit zwei Villa-Fans in The Manor Tavern, einem Pub im Birmingham. Da ging es nämlich um genau das Thema, welches gerade abgepfiffen wurde: es ist Pokal und ein Erstligist empfängt (!) einen Fünftligisten. Der Tausch des Heimrechts konnte keine Diskussion auslösen, weil das für die zwei jungen Männer völlig absurd klang. Warum das Heimrecht tauschen? Was hat das mit Fairplay zu tun? Was will der Kerl von uns? Und dann beginnt man sich völlig abzuarbeiten daran, dass der kleinere Verein doch eh schon im Nachteil sei und dessen Kasse auch mal richtig schön voll würde und dass so manche Kleinstadt oder gar Provinz das „Spiel des Jahrzehnts“ bekämen. Natürlich haben die beiden verstanden, was wir meinten, doch das Verständnis für diesen Modus war gen null. Schwer zu beschreiben, außer vielleicht damit, dass man gefühlt von zwei Boxern angeschaut wurde, die einem nur durch Blicke mitteilten: „Schicksal, also los.“

Und da machte es dann doch Klick, worin so mancher Unterschied besteht. In England herrscht seit jeher – und vielleicht stammt das auch aus früher Rugby-Geschichte, als so manches Feld keine Begrenzung hatte und der Ball schonmal von Dorf zu Dorf getrieben wurde – diese banale Sicht auf das Abrufen von Leistung: Es ist egal, ob du vor vor 50000 oder 500 Leuten, bei Nebel oder Flutlicht, vor upper oder working class spielst. Und das ist weder Parole, noch Floskel. Abseits von Ball und Körper sind alles andere natürliche Gegebenheiten, die keinen Einfluss auf Sieg oder Niederlage haben. Deshalb konnten uns die beiden Villans auch nicht folgen. Tausch des Heimrechts? Was soll das? Es gibt keine gesetzten Teams, es wird gelost, bei Unentschieden gibt es ein Rückspiel. Das ist schließlich der FA Cup und nicht der Mickey Mouse Cup (League Cup). Am Ende gibt es eine grüne Wiese und du musst dich wehren. Und wenn du als Fünftligist zum Erstligisten reisen musst, ist das eben so. Everton bleibt schließlich Everton, darum geht es. Deswegen kam den beiden auch der Gedanke an Losglück- oder pech etwas komisch vor.

Es ist eine völlig andere Denke, bei der das Wesentliche im Vordergrund und das ganze Drumherum maximal als stillose Ausrede betrachtet wird. Vielleicht liegt darin auch die generelle Ablehnung gegenüber Schwalben (Klinsmann), Schauspielerei (Robben) oder Schuldzuweisungen (Guardiola). Du verlierst das Spiel? Ok, das ist mit keinem Wetter, Schiedsrichter, Klassenunterschied oder stumpfen Rasen zu erklären. Es ist allein dein Problem. Ja, das lieben wir.

Und Pubs.

Und dann bis die Stirn brennt

BMH zocken mit Dennis Dubiosi

Liebe Leute, wir haben eine so gute Idee, dass wir eigentlich nie hätten selbst drauf kommen können. Unser liebstes Computerkind DENNIS DUBIOSI wird für die Furche sein all time favourite Fußballgame „Bundesliga Manager Hattrick“ (1994) so zocken, dass wir ihm auf die Finger seiner Machenschaften schauen können. Wir können also alle miterleben, wie er einen damaligen Oberligisten mit Werbeverträgen, diversen Risiko-Transfers und dunklen Immobilien-Geschäften in die Bundesliga oder den Abgrund führt.

Alle zwei Wochen gibt es eine PK, in der wir DENNIS DUBIOSI über die sportliche und finanzielle Lage befragen. Das könnt ihr, die großartigen Fans, kommentieren und dabei selbst nachhaken, warum der Deal mit Jens Nowotny geplatzt ist. Nach der Hinrunde könnt ihr euch zudem für eine Live-PK per Zoom anmelden, um den Manager mit Fragen in Ecki-Heuser-Manier zu belästigen. Für mehr Transparenz im Fußball! Für mehr Transparenz bei Typen wie DENNIS DUBIOSI!

Bericht über die Saisonvorbereitung folgt. Falls ihr schon jetzt Fragen an ihn habt – in die Kommentare damit!

Das Unmögliche möglich machen

Furche Heiko Rothenpieler zu 100 Jahren Betzenberg

Wie viele Stadien ist man angefahren, wie viele Spiele behält man in Erinnerung? Bei allen Groundhopping-Touren in der Welt oder Fanfahrten durch deutsche Stadien, ruft der Betze dann doch wieder das Besondere hervor. Vom ersten Besuch 1994 gegen den VfB Leipzig zum Beispiel, damals selbst neun Jahre alt und Jürgen Rische noch im gegnerischen Team, bleibt vor allem das extreme Auspfeifen des Gegners beim Aufwärmen in Erinnerung. Diese Lautstärke! Ein Neunjähriger vergisst das sein Leben lang nicht. Es entbehrte zudem jeder Logik, warum ein Verein, mit dem es überhaupt keine Rivalität oder Fehden gab, derart niedergemacht wurde. Die Auswechselspieler der Leipziger verlagerten ihre Dehnübungen in die Mitte des Feldes, weil sie an der Eckfahne durchweg mit Bierbechern beschmissen wurden. Ja, so etwas bleibt hängen in den ersten Stadionschritten des Lebens.

„JEDES MAL, WENN ICH KAISERSLAUTERN SEHE, GIBT ES FAUSTHIEBE UND RIPPENSTÖSSE. ES IST UNWÜRDIG, DAS LAND DER WELTMEISTER ZU VERTRETEN.“ (VUJADIN BOSKOV, TRAINER SAMPDORIA GENUA)

Es gehörte schlichtweg zur DNA des Betze, den Gegner von Beginn an in maximalem Ausmaß zu verunsichern, vor allem Torwarten galt alle Konzentration der Anfeindung. Kamen sie auch nur in die Nähe der Westkurve, war die Spielverzögerung wegen Wurfgeschossen oft vorprogrammiert. So werde ich auch nicht vergessen, wie Ordner mit Schneeschiebern und Besen in den Händen, Berge von Bananen aus dem Sechszehner von Oliver Kahn entfernen mussten, damit es endlich losgehen konnte. „Hölle Betzenberg“ sollte definitiv kein bloßer Slogan sein, sondern die offizielle Adresse des Teufels.

„IN KAISERSLAUTERN SPÜRTE MAN DEN HASS. WENN MAN DA ZU NAH AM ZAUN STAND, KONNTE ES PASSIEREN, DASS EIN ZUSCHAUER EINEN MIT EINEM SCHIRM DURCH DIE ABSPERRUNG STACH. HEUTE FAHREN DIE TEAMS IM BUS ZUM STADION, ABER DAMALS MUSSTEN WIR VORM SPIEL MIT DEN KOFFERN DURCH DIE MENGE. IN LAUTERN WURDE EINEM ANGST UND BANGE, DASS DIE EINEN ABSTACHEN.“ (FRANZ „BULLE“ ROTH)

Ich erinnere mich, wie bei Fritz-Walter-Wetter der Schiedsrichter lange vor dem Spiel mit Regenschirm aus seinem Auto stieg, in Richtung Katakomben ging und ihm ein Fan in weiser wie froher Erwartung zurief: „Den wirst du auch im Spiel brauchen!“ Auch so ein Bild, das ich immer mit Besuchen auf dem Betze in Verbindung bringe: Nach Halbzeit- oder Schlusspfiff eilen obligatorisch zwei, drei Ordner zu den Unparteiischen und beschützen sie mit aufgespannten Regenschirmen vor Wurgeschossen – selbst wenn sie ordentlich gepfiffen hatten.

„DAS IST DAS EINZIGE STADION, IN DEM ICH WIRKLICH ANGST HABE.“ (GERD MÜLLER)

Es ist überhaupt nicht kleinzureden, wie unfair und aggressiv es oftmals ablief, niemand kann das gutheißen oder beschönigen. Alles ging eben einher mit dieser völligen Selbsverständlichkeit: Wer auf unserem Berg punkten will, muss schon mehr liefern als fußballerische Klasse. Und darin lag auch immer der tiefsitzende Walter-Glaube, das Unmögliche möglich zu machen. Eben so, wie es die fünf FCK-Spieler beim Weltmeistertitel 1954 in Bern für alle Zeiten vorgelebt hatten. Diese feste Überzeugung brachte weit überlegene Gegner regelmäßig zu Fall, weil sie keine Mentalität auf Augenhöhe mitbrachten. Manchmal hatte man daher den Eindruck, dass gegnerische Teams nicht verloren hätten, wären sie nicht in Führung gegangen. Der Rückstand als Willensprobe, nicht mehr als ein Charaktertest und wehe dem im eigenen Trikot, der nicht bis zum Äußersten gegen ihn ankämpfte. Trotzdem lag über allem Agon die Bescheidenheit Fritz Walters.

„AM BESTEN SCHICKEN WIR DIE PUNKTE GLEICH MIT DER POST.“ (PAUL BREITNER)

Die Zeiten, in denen der FCK als gefüchtetstes Heimteam Deutschlands galt, gehören längst der Vergangenheit an. Die sportlichen Talfahrten lassen die einstige Bastion inzwischen wie ein poröse Sandburg erscheinen. Die Geschichten des Betze aber bleiben, weil sie nicht nur von extremer Atmosphäre, sondern auch vom Bruch mit jeder Wahrscheinlichkeit und vom ständigen Aufbegehren gegen vermeintliche Goliaths erzählen. 100 Jahre Betzenberg bedeuten auch 100 Jahre deutsche Fußballgeschichte. Dazu herzlichen Glückwunsch, 1. FC Kaiserslautern.

EF in die klassische Dramaturgie

VORLESUNGSVERZEICHNIS
Seminar: Einführung in die klassische Dramaturgie (1401)

Termine:
– 2. Minute: Leid durch Selbstverschulden. Referent: Thomas Mejias (Torwart, Middlesborough)
– 13. Minute: Außenseiter verpasst Großchance. Referent: Lukas Nmecha (Sturm und Drang, Middlesborough)
– 15. Minute: Bestrafung der Aufständischen. Referent: Erik Lamela (auf Abruf, Tottenham)
– 54./72./77. Minute: Erfolglose Reinkarnation. (Vortrag der Arbeitsgruppe “to live is to die“, Middlesborough)
– 83. Minute: Hoffnung. Referent: George Saville (Esoteriker, Middlesborough)
– 90. Minute: Der Tod des Helden. Referent: José Mourinho (Regisseur, Tottenham)

Aus Eisen und Glas

Buffon im Tor, Duce im Wohnzimmer

„Die Auslosung“ – gelesen von Lukas Schlüter

Lasst doch mal den Olaf durch!

Von Körpern und Kuchen

Wenn Cristiano Ronaldo zum Torjubel ansetzt, sind wir nicht Zeugen willkürlicher Performance. Ronaldo schießt nämlich sehr oft Tore, ein Umstand, der systematische Selbstinszenierung erst ermöglicht. Mit Ronaldo begann Fußball eine Bühne für Narzissten zu werden, für Muskeln, Schmuck, Piercings, weiße Unterwäsche und noch weißere Zähne. Der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz meint: „Körperkult spielt im Narzissmus eine große Rolle. Viele verlagern ihr inneres Problem auf Äußerlichkeiten. Sie betonen ihren Körper durch Training, Diäten, Kleidung oder Kosmetik“. Fans bejubeln daher nicht nur das Tor von Ronaldo, sondern in diesem Moment auch dessen Körper(kult). Der Code ist simple: Nach dem Tor läuft er zu den Fans und zeigt mit beiden Zeigefingern (nur) auf sich und seine Brust. Seht her: Dieser Körper kann das.
Zeitwechsel. Am heutigen 12. April würde der englische Kult-Keeper William Henry Foulke 143 Jahre alt. Foulke, genannt „Fatty“, steht mit 165 Kilogramm als schwergewichtigster Fußballer im Guinness-Buch der Rekorde. Als ihn gegnerische Fans einmal mit „Who ate all the pies?“ („Wer hat den ganzen Kuchen aufgegessen?“) höhnisch besangen, antwortete „Fatty“ mit Humor: „Mir egal, wie sie mich rufen. Hauptsache, sie rufen mich nicht zu spät zum Lunch!“
Selbst in Deutschlands Amateurkabinen werden Kilos belächelt. Nur metallische Körper schießen eben Tore wie Ronaldo, Pfunde helfen nicht, also sind sie unerwünscht. Da ist es kein Wunder, dass sich insbesondere jüngere Kicker neuerdings gerne als „Maschinen“ bezeichnen, was sich im Fußballjargon seit einigen Jahren als Unwort testosterongesteuerter Halbstarker etabliert hat. Ein Mann wie Foulke wäre im gegenwärtigen Ronaldo-Zeitalter voll McFit’scher Hirntodgymnastik wohl maximal Zeugwart geworden. Damals aber war „Fatty“ englischer Nationalspieler – und kein Narzisst. Der Kuchen steht bereit. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

hrp

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11mm bis Jerusalem

Also wer das noch kennt…

Gegen Rassismus, für Poesie

Eine Frage, Loriot

Seeler, Brinkmann, Mill

Wimbledon vs. Dons!

Wem die Champions League heute Abend einfach zu Mainstream ist, sollte seinen Kühlschrank schnell mit ein paar Ales füllen und schonmal den Livestream für die dritte englische Liga heraussuchen. Heute um 20:45Uhr kommt es zum Kulturkampf zwischen dem AFC Wimbledon und Milton Keynes Dons. Stellt euch vor, euer Verein geht insolvent, wird aufgekauft, ändert den Namen und zieht an einen 130km entfernten Ort. Und ihr? Ihr bleibt, gründet mit ein paar anderen einen eigenen Verein und steht nach sechs Aufstiegen in vierzehn Jahren plötzlich in der Tabelle vor dem Erzfeind. Im Oktober 2016 war es soweit: http://www.11freunde.de/artikel/der-afc-wimbledon-steht-erstmals-vor-den-mk-dons

Kriegerischer Fußball

„Fußballerisches Plankton“

Anstoß in Aleppo

Carlo Farsang, 1999

Gutes Fulham, böses Millwall

Welche Filme, Mats?

Fußball statt Sissi

Fußballspieler, Ministrant, Senegalese

Von Denkern und Lenkern

Zitat: „Der Kopf denkt, der Fuß lenkt.“ Dass diesen Satz Günter Netzer und nicht Jürgen Kohler über die Lippen brachte, ist natürlich wenig überraschend. Netzers Spielweise war nämlich genau das: eine Symbiose aus Denken und Lenken. Doch das Zitat sagt noch mehr aus. Netzer behauptet damit auch, dass es eine Verschmelzung zwischen Körper und Geist gibt. Dies wiederum würde bedeuten, dass – auf den Fußball bezogen – Kopf und Fuß im Single-Modus nicht existieren und schon gar nicht agieren können.

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Mit dieser These grätscht Netzer sämtliche Philosophen à la René Descartes um, die fest an „Cogito, ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) glauben und Kopf und Fuß sehr wohl voneinander getrennt betrachten. Aktuelle Vertreter dieser Theorie sind u.a. Markus Weinzierl („Das Spiel wird im Kopf entschieden“), Pep Guardiola („Alles Kopfsache!“) und Oliver Kreuzer, der sich inzwischen spezialisiert hat („Relegation wird im Kopf entschieden“).

Eine allgemeingültige Antwort darauf, ob „Körpersprache“ und „Kopfsache“ eine oder keine Einheit bilden, wird es allein schon wegen der vielen unterschiedlichen Probanden nicht geben. Vielleicht genügt einem Team ja auch 1x Denken (Netzer) und 1x Lenken (Podolski: „Rein das Ding und ab nach Hause!“) Man weiß es nicht und genau das macht es aus. Deshalb kann man Günter Netzer nur dankbar sein. Dafür, dass seine Aussagen immer zum Diskurs führen. Heute wird er 72 Jahre jung – von Kopf bis Fuß. Glückwunsch!

Definiere: historisch

Song 2 beim Gegentor

Sonne, Wolke, Regen, Wind, es war alles dabei. Metapher und so. Immer gut als Texteinstieg jaja. Zwei Spieltage rum. Der Gast Viertletzter, der Gastgeber Letzter. 0 Punkte. Garantiert alles, nur kein müder Sommerkick. Im gut situiertien Stadtteil List findet man eine gestriegelte Anlage mit vier Fußballplätzen, zwei Tennis Courts und ein altehrwürdiges Rugbyfeld. Genauer betrachtet aber springen einem bildschöne Schürfwunden ins Auge: Lädierter Rasen, vergilbte Torpfosten und unkrautüberzogene Betontreppen. Für satte 6 ermäßigte Euro bekam die Furche ein Duell auf Kniehöhe präsentiert. Mittelmäßiges Gilde Plastikpils und knackige Senfpeitschen für je zwei Dublonen manipulierten den ersten Eindruck einer einfältigen Stadtsportanlange ohne Herz. Am Ende standen viel K(r)ampf um Ball und Beine, zwei Elfmeter, ein auf den Hartboden aufgeschlagener Aufsteiger und eine marktschreierische Gästebank auf dem Matchplan. Nerven komplett Stefan Blank. Was macht der eigentlich? Highlight: ein kurz überforderter rentnerischer Stadionsprecher, der beim 0:1 doch glatt zum Song 2 von Blur griff. Wohooo! Kundenrezension: Gerne wieder!!1!! Echt!!1!! War diese Rezension für Sie hilfreich?

(HSC Hannover vs. VfL Oldenburg 1:2, Oberliga Niedersachsen, 21.08.2016)

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Harter Kater

Mit der inneren Wärme einer Pizza Calzone aufgewacht. An die Decke starrend, schelmisch grinsend. Dann ein Scroll-Marathon von Spox bis Kicker, dann die internationalen Pressestimmen inhaliert, den Zaza-Tanz geloopt, die Tränen Barzaglis getrunken und Urs Siegenthaler am schollschen Marterpfahl betanzt. Welch glückliches Leben! Ein paar tausend Effzeh-Klicks von befreundeten Facebook-Befreundeten später schaltet man den Fernseher ein und will sich zu den Höhepunkten auf tagesschau24 befriedigen. Doch plötzlich ZDF-Fernsehgarten. Andrea Kiewel schreit „Halbfinaaaaaale!“. Zu Gast: Henry Maske. Schland dreht durch. Warten auf Island.

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„Dirty Games“: Appell statt Anklage

Seit dem 02. Juni ist der prämierte Dokumentarfilm „Dirty Games“ von Benjamin Best in den Kinos. Das Werk ist „keine brachiale Anklage, vielmehr ein fast hilfloser Appell an die Sportfans“, heißt es in „ttt“. Es ist wohltuend festzustellen, dass ein Ab- und damit Durchwinken von Korruption im Sport keine Option für die Zivilgesellschaft sein darf – und wenn die hundertste Doku, das tausendste Plakat oder die hunderttausendste Unterschrift noch so vergeblich erscheint. Worum es geht in 6:20min via ‚ttt – titel thesen temperamente‘: http://www.ardmediathek.de/tv/ttt-titel-thesen-temperamente/Dirty-Games-Die-schmutzige-Seite-des/Das-Erste/Video?bcastId=431902&documentId=35648078

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Pass in die Gasse #20