Ein Schlückchen Sekt vielleicht?
Es gab ja schon immer Dispute zwischen Fragestellenden und Spielenden, das ist nichts Neues. Das Mertesacker-Interview zum Beispiel steht dafür stellvertretend. Aber, und darin liegt der feine Unterschied, rutscht Toni Kroos ins Persönliche ab: „Du hattest 90 Min…“ ist sinngemäß nichts anderes als: Du machst dein Job nicht richtig, ich bin gerade CL-Sieger geworden, also lass mich in Ruhe. So ist es nicht verwunderlich, dass Kroos für seine Reaktion nicht nur gefeiert, sondern auch kritisiert wird: weil er in diesem Moment über den Dingen steht.

Und so eine Reaktion ist ja nie ohne Kontext zu sehen. Da ist der perfekte Fußballer, das „Hirn“ eines Spiels, wie in spanische Zeitungen gerne nennen, der immer abwägende, rationale Vollprofi. Da ist aber eben auch der oft zitierte „Familienmensch“, dem Privatheit heilig ist, der aber eine Doku über sich und eben diese Privatheit drehen lässt und nach Abpfiff gegen Liverpool die Familie ins Rampenlicht stellt. An Punkten wie diesen denkt man sich dann kurz, dass irgendwas nicht zusammenpasst und alles, inklusive Familie, Teil einer Inszenierung ist. Ein Kumpel schrieb humorvoll, aber irgendwie auch richtig: „Das wäre dem Raab nicht passiert!“
Und es ist einfach herrlich, wie auf einem Mitschnitt bei den Feierlichkeiten in der Kabine zu sehen ist, wir er ein Sektglas von Eden Hazard strikt ablehnt. Alle am Springen und Ausrasten, doch ein Schlückchen Sekt ist null möglich, weil da immer Kontrolle und Contenance herrschen und für sein Ego auch bewahrt werden müssen. Oft hieß es nach dem ZDF-Interview im Netz, Kroos‘ Verhalten sei unprofessionell gewesen. Das stimmt so nicht: Was hier sichtbar wurde, ist nicht die fehlende Professionalität, sondern seine Über-Professionalität. Durch die Fragen, die nicht Begeisterung und Glückwünsche ausdrückten, fühlte sich Kroos in genau dieser angegriffen. Indem er persönlich wurde: Klar, dass du aus Deutschland bist…du hattest Zeit für gute Fragen usw. In dem Moment sieht er Kaben als unvorbereitet – was ihm selbst nämlich nie passiert. Und das fuchst ihn. Deshalb verlässt er kurz seinen Kokon.
Die Abfeierei im Netz war geradezu schizophren. Da wird plötzlich genau der, dem besonders bei DFB-Pleiten bei Turnieren fehlende Kanten und ein steriler Charakter vorgeworfen werden, zu einem „mit Eiern“, der sich „nicht alles gefallen lässt“. Und dass man einem so erfolgreichen Mann mit fünf CL-Titeln nicht solche Fragen stellen darf, ist hinsichtlich des exponierten Leistungsprinzips auch sehr, sehr deutsch. Das macht das Ganze fast schon eklig.
Man muss kein Fan von Nils Kaben sein, weil er oft und gerne süffisant daher- und dazwischenredet. Aber der Mann ist seit Jahrzehnten bei Olympia und Co. am Start und macht in der Sportberichterstattung letztlich auch nur seinen Job. Er hat es nicht verdient, als dummer Junge stehengelassen zu werden. Genau dafür sorgt Kroos aber in diesem Moment. Und das sagt sehr viel aus. Mehr als die Kroos-Doku allemal.