Kicker-Cover: Was sehen wir?

Kicker um 2023, Öl auf Leinwand, unsigniert, Neues Museum Nürnberg

Schauen wir gemeinsam auf das kicker-Cover mit Nagelsmann und Tuchel, so stellen wir fest: wenig Inspiration, aber solides Handwerk. Was steckt also drin in diesem Bild?

Zunächst die Frage, die am Anfang jedes kulturwissenschaftlichen Popkultur-Seminars durch den Raum stinkt: Was sehen wir? Wir sehen zwei Männer im Porträt, die hinsichtlich Farbe und Mimik im Kontrast zueinander stehen. Ihre Köpfe sind zwar mit der gleichen Größe bedacht, doch steht die Person links bereits hinter der Schulter der Person rechts. Und während Nagelsmann mit einem Blick nach oben bereits fragend und staunend das Himmlische erwartet, schaut uns Tuchel mit dem selbstsicheren Grinsen eines Wahlkreissiegers von Barmbek-Uhlenhorst an.

„Anfang und Ende“ funktioniert indes als geschickte Anspielung auf das malerische Oxymoron „Lebbe geht weida“ des Künstlers Dragoslav Stepanović. Links zudem der ikonisch geöffnete Mund von Edward Munchs „Der Schrei“, rechts der selbstbewusste, aber nicht überhebliche Blick der Mona Lisa. Auch farblich wurde penibel auf Polarität geachtet. Wird Nagelsmann mit der Ästhetik einer missglückten Traueranzeige beschenkt, badet Tuchel in den adaptierten Worten Andi Möllers: Sepia oder Valencia, Hauptsache Wärme!

Doch was wissen wir Typen aus der Kurve schon von Gestaltung! Daher reichten wir das Cover an den Experten und Grafikdesigner Julian Hennemann weiter, der uns gerne auf die Sprünge half: „Boah, ey, Montag, ich bin für so ein Quatsch noch nicht ganz… Wochenende war nicht ohne. Aber ja, ganz ehrlich – da passiert ja nicht viel. Klar, ich weiß sofort, worum es geht, aber mehr auch nicht. Technisch gesehen super freigestellt und alles schön in Szene gesetzt. Auch von der Bildkomposition her alles sauber, aber ich hätte halt nicht solche Riesenköpfe genommen. Und wenn doch, dann im Face-Off-Stile von John Travolta und Nicolas Cage. Ja, das wäre es bei mir geworden: im Körper des Feindes!“

Von Lodda bis Kahê

Alles klar, Leute, bitte jetzt ganz genau zuhören, denn Wissen ist schließlich Macht! Heute vor 99 Jahren wurde Athletico Paranaense gegründet. Den Verein kennt man nicht nur durch seinen offen rechten Support für Jair Bolsonaro, sondern vor allem durch Lothar Matthäus, der bei den Schwarz-Roten von Januar bis März 2006 als Trainer glänzte und davon einen Monat Sperre wegen Schiedsrichterbeleidigung absaß. Beeindruckend!

Skandal! Ein Deutscher in Brasilien

Unvergessen natürlich auch Paolo Rink, der schon in der Jugend für Paranaense einlochte und 1997 von den Spähern Reiner Calmunds ins ähnlich schöne Leverkusen mitgenommen wurde. Heute betreibt Rink dort eine Farm, aber das ist eine andere Geschichte. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass er genauso viele Länderspiele für Deutschland wie Ligaspiele für Energie Cottbus absolvierte (13) und dann nach einem Jahr mit Ede Geyer verständlicherweise ins warme Nikosia floh.

Aktueller Paranaense-Coach ist Brasiliens Weltmeistertrainer Luiz Felipe Scolari. Der trainierte übrigens schon Michael Ballack beim FC Chelsea, der wiederum unter Otto Rehhagel zu seinem ersten Bundesligaspiel kam, der wiederum mit Griechenland bei der EM 2004 gegen Portugal im Finale gewann, das damals wiederum von Scolari trainiert wurde. Das gehört aber eher in der Kneipe auf den Tisch.

Viel wichtiger ist zu wissen, dass die Heimstätte mal Kyocera-Arena hieß und zwar im gleichen Zeitraum, als Kyocera Hauptsponsor von Borussia Mönchengladbach war. In diesem Fohlen-Trikot lief damals auch der brasilianische Sturmtank Kahê auf, der von Ponte Preda kam, das wiederum mal von Paulo César Carpegiani trainiert wurde, der wiederum mal Trainer von Paranaense war. Das ist aber eine andere Geschichte.

„Packen sie es, machen sie aus Wembley Woodstock“

+++ Spoiler: Es folgt ein Text voller Fisch-Phrasen, Meertaphern und abgedorschenen Kaalauern +++

Wir gestehen vorab: wir lieben Grimsby. Obwohl das nicht so ganz richtig ist. Korrekt wäre zu sagen: wir lieben die Fans von Grimsby. Und die werden heute alle so heiß sein wie frittierter Fisch. Denn als erster Viertligist in der 152-jährigen Geschichte des FA Cups schlug Grimsby Town FC fünf höherklassige Teams und steht im Viertelfinale. In der letzten Runde hatten die Mariners mit einem 2:1-Sieg beim Erstligisten Southampton ein Wunder vollbracht. Mit an Bord hatten sie 4000 durchgeknallte Fans, denen 720 Km an einem Mittwoch eine Selbstverständlichkeit waren. Wie sich das anfühlte? Seht selbst via Twitter: https://t1p.de/kvsgq

Nun scheint dies auf den ersten Blick nicht so unglaublich und ungewöhnlich. Der Pokal hat schließlich seine eigenen Netze und Wunder gibt es immer wieder. Doch schaut man sich Grimsby und seine Fans unter der Lupe an, erkennt man elementare Unterschiede zu vielen anderen kleinen Fischen. Denn was oberflächlich als das klassische Märchen eines Underdogs erscheint, ist unterhalb des Meeresspiegels eng mit einer Geschichte des Verlierens abseits von Fußballplätzen verbunden. In Grimsby zu leben heißt landesweit dem Klischee der Zahn- und Ahnungslosen zu entsprechen. Außenseiter zu sein kennen die Grimsbarians also nicht nur aus dem FA Cup.

Es ist aber nicht der Millwall-Mittelfinger, mit dem gegen Gott, West Ham und die Welt gekämpft wird. „No one likes us, we don’t care“ ist nicht das Bild, das die Fans der Mariners verkörpern. Stiernacken und Schlagring weichen hier aufblasbaren Fischen (und Krabben, Dildos, Kakteen, Rollatoren). Außenseitertum wird hier nicht mit nacktem Hass sondern Humor gefüttert, sich selbst nicht ernst sondern aufs Korn zu nehmen, ist die einzige Lösung. Diese Selbstironie ist das Rezept für den Alltag, denn während sich anderswo im britischen Fußball alles um die Frage nach Optimierung dreht, geht es für viele Fischer der 90.000-Einwohnerstadt ums Überleben.

Auch deshalb wirkt Fußball in Grimsby wie eine Wundsalbe. Und die Wunden könnten nicht größer sein. Einst war Grimsby die bedeutendste Fischereistadt des Königreichs, in den 50er Jahren gar der größte Fischerhafen der Welt, die Fischer nannte man „Three Day Millionairs“. Und die gaben ihr Geld nicht in London oder am Strand von Brighton aus, wo Lords und Ladies flanierten, sondern ließen es in Grimsby. Stadt und Bürgern ging es prächtig, Stolz und Identifikation gaben sich die Flosse. Was für eine Zeit, petri geil!

Und heute? 70 Prozent der Grimsbarians stimmten für der Brexit, obwohl die Menschen dort traditionell die Labour-Partei wählen und die Gegend in Großbritannien als „Rote Wand“ bekannt ist. Boris Johnson machte sich den Frust der Fischer zum Nutzen: endlich nicht mehr abhängig sein von Brüssel, dachten sich viele auf Grund gelaufene Seelen. Inzwischen ist die Stimmung wieder anders, von den Tories fühlen sich viele betrogen und benutzt. Dem Versprechen des Aufschwungs folgten Ernüchterung und Aufgabe, Alkoholismus ist ein trauriges Thema. 2019 wurde Grimsby zum „worst place to live in the UK“ gewählt. Wer in dieses Thema tiefer abtauchen möchte, dem empfehlen wir ein Arte-Doku über die Fischer von Grimsby: https://t1p.de/actyy

Umso mehr ist nachvollziehbar, welch wichtigen Platz der Fußball hier einnimmt. Das kennt man in Deutschland aus dem Ruhrgebiet, wo Fußball früher zwischen all den Schloten über Generationen hinweg die einzige Sehenswürdigkeit war. Und was sagen die Pöttler heute noch gerne wie heimatliebend? Woanders is‘ auch scheiße!

Natürlich hingt der Vergleich ein wenig, doch ob Zechenschließungen oder kaputte Fischernetze: Strukturwandel bringt nicht nur Chancen, sondern für sehr viele Menschen auch Leid. Dennoch ändert es zwar das Leben der Menschen, doch nicht ihre Liebe zur Heimat. Das hat auch Kollege und „Junge aus Castrop“ Ron Ulrich erlebt, als er 2020 für eine 11Freunde-Reportage ein Wochenende in Grimsby verbrachte. Kurz vor dem heutigen FA-Cup-Highlight fragten wir ihn rückblickend:

Ron Ulrich, als Sie damals aus Grimsby zurückkehrten, grinsten Sie drei Tage lang durch. Was hatten die Menschen dort mit ihnen gemacht? „Was mir am englischen Fußball und an Grimsby speziell immer so imponiert, ist diese Natürlichkeit, mit der sich alle selbst auf die Schippe nehmen: We only sing when we‘re fishing / clap, clap fish oder der sensationelle Titel des Fanzines Cod Almighty (allmächtiger Kabeljau). Hier in Deutschland reagierten auch viele etwas befremdlich auf die Schilderungen und Fotos meines Besuchs. Doch die Leute in Grimsby haben es sich übersetzen lassen und fanden es total super. Grimsbarians sind einfach sehr herzlich, selbstironisch und ekstatisch beim Feiern. Wenn sie es wirklich packen, machen sie aus Wembley Woodstock!“ Seinen Ritt könnt ihr hier in Gänze nachlesen: https://t1p.de/jkmhj

Heute werden erneut die Segel gesetzt. Der Gegner kommt wieder aus Liga eins und heißt Brighton & Hove Albion, wieder sind es 720 Km, nur die Zahl der Grimsbarians wird noch größer sein. Der daheimgebliebene Rest wird ab 15:15 Uhr die Pubs in Grimsby füllen oder an der Mündung des Humber sitzen und zum Klabautermann beten. Für Halbfinale, Fisch und eine bessere Zukunft.

Nicht für dumm verkaufen lassen

Seit Max Eberls Ausscheiden aus dem Profigeschäft („Ich will mit diesem Fußball nichts mehr zu tun haben“) und dem merkwürdigen Wechsel zu einer seiner „Traumvereine“ Red Bull Leipzig, haben wir uns jeder Kommentierung entzogen. Zu sensibel ist die Gesundheit eines Menschen, zu spekulativ die Interpretation seiner Beweggründe. Kurzum: Wie es Max Eberl geht, geht uns nichts an. Und dass Max Eberl auftritt, als „hätte er eine Gehirnwäsche hinter sich“, ist nicht nur typisch FOCUS online, sondern auch gefährlich. Und soll das auch niemand mit der Grauzone begründen, Eberl sei schließlich eine Person des öffentlichen Lebens.

Trotzdem lässt sich konstatieren, dass kaum eine Woche vergeht, ohne dass eine Eberl-Aussage für Fremdscham, Unverständnis und Lacher sorgt. Umso mehr denkt man: Ok, er fährt eben einen anderen, sehr strangen Film, doch warum steht er immer wieder vor jenen Mikrofonen, die ihm doch ach so böse zusetzten? Ausgerechnet der Bild schilderte er, wie sich Leere anfühlt, im Dopa verteidigt er das wechselseitige Bettgehüpfe von Spielern zwischen Leipzig und Salzburg. Der Druck der Medien? Sind natürlich die Medien schuld, von Selbstreflexion keine Spur. Und nicht nur das, denn dass „Leipzig nochmal über Gladbach (ist)“, sollte dann doch jeder Fohlen-Fan mit einem Ellbogenhieb wissen.

Nun wurde er als Studiogast vom ZDF für das aktuelle Sportstudio ausgeladen. Der Grund: Eberl will nicht, dass ihm Fragen zu seinem Ex-Klub Borussia Mönchengladbach gestellt werden und „bestimmte Themen“ ausgeklammert werden sollten. Warum nicht? Weil laut Eberl alles dazu gesagt sei. Mehr kann er nicht offenbaren, welche Denke er von Red Bull in nur kurzer Zeit übernommen hat: Mit wem wir reden, bestimmen wir, was wir gefragt werden, bestimmen auch wir. Diese Firmen-DNA ist abseits der Stadtgrenzen Leipzigs hinlänglich bekannt. Wann etwas vorbei ist, bestimmt also Max Eberl im Doppelpass oder via Leipziger Volkszeitung und eben nicht Fans von Borussia Mönchengladbach oder gebührenzahlendes Fernsehpublikum, das ein Recht auf kritische Berichterstattung hat. Wie Eberl eben selbst sagte: „Man soll sich immer bewusst sein, was man da mit dem Menschen und seinem Umfeld tut.“

Es ist daher vollkommen richtig, diesem Wunsch nach Selbstdarstellung nicht zu entsprechen. Wo kämen wir da hin? Max Eberl will sich die Welt machen, wie sie ihm gefällt. Das kann und soll er privat in voller Freiheit auch tun, ist aber mitnichten auf seine aktuelle Funktion zu übertragen. Ganz im Gegenteil: verlieren wir den Wunsch nach Aufklärung darüber, was in den Vereinen los ist und was Einzelpersonen in ihnen betreiben, ist jede Identifikation und jeder Stadionbesuch ad adsurdum geführt. Dann würde man endgültig der abgelutschten Phrase entsprechen, nicht mehr Fan, sondern nur noch Kunde zu sein. Deshalb gilt es dagegen anzugehen und zu sagen: So nicht, Max Eberl! Denn wie sagten Sie doch bei Sky, als Sie vehement Strafen für PSG forderten: „Wir brauchen uns nicht für dumm verkaufen lassen.“

Der größtmögliche Mittelfinger

Mit den 104 statt 64 WM-Partien ist auch dem letzten Highlight-Gefühl der Zahn gezogen. 48 Teams, 40 Tage, Wahnsinn. Reden wir an dieser Stelle (noch) nicht darüber, welche organisatorischen und ökologischen Folgen das haben wird und wieviele Menschen, ob Fan oder Stuff, tausende Kilometer überbrücken müssen. Schauen wir nur mal auf den Hauptgrund der nun nochmal enorm steigenden Fernsehgelder und den damit nochmal gesteigerten Umsatz für die FIFA, darf einem schon schlecht werden.

Und so unterscheidet sich das Grundprinzip von Katar zu Mexiko/USA/Kanada kaum: erstmal im maximal profitablen Sinne entscheiden, die Sintflut danach dann mit Greenwashing und Propaganda gegen kritische Stimmen kleinhalten. FIFA bleibt also in puncto Philosophie und Struktur FIFA im engsten Sinne und das ist gegenüber sämtlichen Ansätzen à la „Wir haben verstanden“ der größtmögliche Mittelfinger.

Das wiederum ist seit Havelange der endgültige Beweis dafür, dass die FIFA nicht anders kann, als ihrem rein kommerziellen Naturell zu entsprechen. Eine Reform ist nicht mehr möglich – für die gesamte Fußballkultur eine ernüchternde Tatsache.

Erst Lavendel, dann Braunkohle

João Félix ist das beste Beispiel dafür, wie schädlich eine zu hohe Ablösesumme für einen jungen Spieler sein kann. Schon bevor damals der Transfer und die nackte Zahl von rund 126 Millionen Euro die Runde machten, waren die Lorbeeren bereits faul. Vom neuen Wunderkind bis zu Messis Nachfolger war alles an falschen Superlativen on fire, das einem U20-Jungen die Luft nimmt. Die Auszeichnung zum Golden Boy und ein Dreierpack gegen Eintracht Frankfurt stützten dieses auf Sand gebaute Kartenhaus.

Doch Félix war kein abgewichster, die roten Teppiche und das Rampenlicht liebender Neymar-Verschnitt und der Wechsel zu Atlético kein typischer nächster Schritt. Es war ein Wechsel von Benficas damaliger Torfabrik mit Ajax-Schablone zum räudigsten Defensivfußball des europäischen Spitzenfußballs. Das ist in etwa so, als würdest du deine Ausbildung auf den Lavendelfeldern der Provence machen, um dann im Braunkohlegebiet Garzweiler übernommen zu werden. Es machte alles einfach null Sinn und mit jedem Spiel, in dem der neue Messi nicht mindestens herausragte, wurden die 126 Millionen Euro schwerer und schwerer auf den Schultern. Bis du irgendwann mal auf der Bank landest, weil du nicht dem System eines Zenturios entsprichst und in den Medien als overrated Flop die Runde machst.

Mit 23 Jahren fliegt nun die Leihe João Félix bei seinem Debüt für den FC Chelsea nach einem üblen Tritt vom Platz. Sein Marktwert ist auf 50 Millionen Euro geschrumpft. Das Ganze bei einem Klub, der gerade im Mittelmaß versinkt und dessen Fans Lieder auf Thomas Tuchel anstimmen. Wer auch immer Félix je beraten und mit ihm Kohle verdient hat, kauft wahrscheinlich dieselben Lambos wie Max Meyers Vater. Und das ist am Ende nur eines: traurig.

Hopp done: VVV Venlo vs. Telstar 1963 1:1


LIGA: Eerste Divisie, 23.09.2022, 8. Spieltag
GROUND: De Koel
ZUSCHAUERZAHL: 4.658
EINTRITT: 16,50€, Ost, Block 4
BIER: Lindeboom; 0,5l, 5,50€
EHEMALIGE VVV-RIESEN: Dick Advocaat, Tijani Babangida,Keisuke Honda
BESONDERE VORKOMMNISSE: acht JGA-Typen, die alle (!) aussahen wie Dirk Kuyt

Von Oberhausen nach Venlo – da denkt man sich erstmal nichts Schlimmes. 50 Kilometer Luftlinie, 90 Minuten mit der Bahn. Für ein Spiel, das um 21 Uhr beginnt, sollte eine Abfahrt um 16:30 Uhr eigentlich ein todsicheres Ding sein. Vier Stunden später waren wir dank Bahn-Chaos mit Bier und Nerven am Ende. Immerhin konnten wir auf der einstündigen Busfahrt mit dem Schienenersatzverkehr die vielen imposanten Steingärten im Kreis Viersen bestaunen, während Kondenswasser an den Scheiben des überfüllten Busses ganz eigene Bilder malte.

Genug der Depression. Kurz vor knapp brachten uns die eigenen Füße pünktlich zum Anpfiff. De Koel! Welch ein fantastischer Ground! Im niederländischen Fußball sind schöne Stadien inzwischen so rar wie Flutlichter in Deutschland. Von Groningen bis Maastricht gibt es inzwischen weniger Stadien, sondern vielmehr multifunktionale Gebäudekomplexe mit China-Restaurant und Fitness-Studio. Nicht so de Koel! In einer Senke gelegen, warten vier verschiedene Tribünen, von denen eine in einen Naturhang gebaut wurde. Dazu ein bisschen Moos, zwei Meter Abstand zur Eckfahne und einer bis unters Dach lassen jedes Fanherz eine neue Runde bestellen. Unter Flutlicht war die Stimmung locker bis laut und extrem entspannt. Im Nachhinein wissen wir auch nicht, wer denn nun die freundlichste all der freundlichen Bedienungen an den Verkaufsständen war.

Das Spiel hingegen schmeckte wie zachte puntjes im Regen. In manchen Situationen musste man schon genauer hinschauen, um Profifußball auszumachen. Kaum ein Spielaufbau über mehr als drei Stationen, Stockfehler am Fließband und Langholz bis zum Frikandelstand. Schön war nur, dass es das heimische Publikum mit Humor nahm und beim Rückstand von 0:1 den zirkulierenden Ball in der eigenen Viererkette abfeierte. Nach dem Spiel wurde man jedoch leider ebenso schnell zum Ausgang gebeten wie die Buden ihre Türen schlossen. Dafür gab es am Supporter-Haus noch Bier in Rutschen und kostenlose Snacks auf Brettchen.

Zum Abschluss wurde es dann absurd, aber auch deluxe: Als wir etwas verwirrt auf einen Busfahrplan schauten, fragten wir eine Anwohnerin, die offenbar mit ihrem kleinen Kind soeben vom Einkaufen kam, nach dem Weg. Und was macht man (in Deutschland auf gar keinen Fall) mit drei angetrunkenen Fremden? Man bittet sie natürlich einzusteigen und fährt sie mitsamt kleiner Tochter zum Hauptbahnhof! Um die Stimmung aber nicht zu euphorisch zu halten, ging es dann wieder per Flixbus ins nächste Chaos, sodass wir um 2:30 Uhr in Duisburg den Zug verpassten.

Oranje boven! De Koel war uns eine Ehre.

Hopp done: KFC Uerdingen vs. SSVG Velbert 3:1

Wir haben noch viel Hoppiges in der Ablage und starten in das Neujahr mit einem letztlichen Besuch in der good old Grotenburg.

LIGA: Oberliga, 23.09.2022, 10. Spieltag
GROUND: Grotenburg-Stadion
ZUSCHAUERZAHL: 2000 (ausverkauft; im Umbau)
EINTRITT: 10€, Westkurve, Block S
BIER: Bolten Alt und Pils; Preise, Liter und Co. vergessen
BESONDERE VORKOMMNISSE: Grotifant (leider) unauffällig

Man konnte auch abseits der Toiletten förmlich riechen, wie es hier mal in der ersten Bundesliga war. Von Moos und verbleichten Schmierereien überzogene Schilder erzählen dir von den großen Abenden unter Flutlicht: „Hier fand 1986 im Europapokal der Pokalsieger im Spiel gegen Dynamo Dresden das Wunder der Grotenburg statt. Hier drehten die Blau-Roten ein 0:2 aus dem Hinspiel und einen 1:3-Pausenstand in ein 7:3, was nach einer Umfrage von mehr als 200 Journalisten, Spielern und Trainern zum größten Fußballspiel aller Zeiten ausgerufen wurde.“

Genug davon, weg vom Honig, rein in den Matsch. 2022 hat der Verein, der inzwischen KFC Uerdingen heißt, die Oberliga an der Backe. Inzwischen liegt zwischen den vier mächtigen Flutlichtmasten und einer Anzeigetafel, die wahrscheinlich aus den Federn desselben Architekturbüros stammt, das auch den Koloss von Rhodos entwarf, nur noch der madige Geruch der Insolvenz. Tausend Mal schon totgesagt und von Mäzenen bis ins Mark geplagt, streitet man sich seit Jahren vor allem mit der Stadt – und überlebt dennoch! Zumindest wurde uns das so von einer Kutte, einem Opa und einem Ordner mit Gräuel und Stolz erzählt. Ohne hier ins Detail zu gehen, ist die Größe dieses schwelenden Missverständnisses omnipräsent, oder wie einer in der Schlange am Bierstand sagte: „Guck darüber! Die Stadt kauft eher ein neues Affengehege, bevor sie uns mal en schmalen Taler gönnt!“

Dort hinten kreischen im Zoo also die Tiere, hier nur die Pleitegeier. Nur logisch, dass dabei ein aggressiver Grotifant regelmäßig die Nerven verliert. Gegen Velbert blieb jedoch alles friedlich. Bei Regen und grauer Tristesse pilgerten inmitten der Länderspielpause 2000 Menschen in die alte Kampfbahn. Mehr Karten konnten nicht verkauft werden, weil sich das Stadion in einem großen Umbau befindet. Das Potpourri aus Jung und Alt, aus Kutten, Herrenhüten und Jack Wolfskin wurde schließlich Zeuge davon, wie die eigene Truppe den Tabellenführer aus Velbert verdient mit 3:1 nach Hause schickte. Überragender Mann auf dem Platz war Routinier Levan Kenia, der seinen Stationen Schalke 04, Fortuna Düsseldorf und Slavia Prag ein Ausrufezeichen anhängte.

Der Tag wird als Herzensangelegenheit, Altbier als lecker notiert und das Stadion der Marke Diva mit Schrammen im Archiv abgelegt. Danach verschwindet alles in einem Dunst aus verpassten und ausgefallen Zügen, vollen Bierdeckeln in Oberhausens „Alter Hut“ und verlorenen Haustürschlüsseln.

Was kann ich verantworten?

Wir werden die #WM2022 weder schauen, noch über sie schreiben. Das ist nicht als Aufruf zu verstehen, sondern ein rein persönlicher Beschluss. Und darum geht schließlich: Jeder und jede soll das Recht nutzen, das uns allen zusteht: die Möglichkeit aus Pro und Contra abzuwägen, um individuell eine Entscheidung zu fällen. Niemand gehört an den Marterpfahl, weil er die WM schaut oder live den Hattrick von Niklas Füllkrug feiern will. Spaltungen gibt es schon genug, Schuld und Brandherde haben weder in Fankurven oder auf der Couch angefangen, noch sind sie dort zu suchen.

Dennoch ist die WM in Katar nicht nur sportlich, sondern als politischer und wirtschaftlicher Spielball zu betrachten. Und gerade deshalb ist eine Egalhaltung ( ≠ Enthaltung) nicht förderlich, sich für das Wie und Warum zu interessieren, dafür umso wichtiger. Das konnten wir alle seit Jahren tun, Wegschauen war und ist dankbarerweise nicht möglich – so sehr sich das Uli Hoeneß auch wünschen würde. Letztens Endes geht es um die einfache Frage, ob man selbst und für sich das Einschalten dieses Turniers verantworten kann. Denn was bringt das Dabeisein, wenn du überredet statt überzeugt wurdest?!

Punktuell kommt bei uns rein sportlich betrachtet hinzu, dass uns schlichtweg die Fantasie für ekstatischen Torjubel fehlt. Weil das, was dort unten auf dem Rasen passiert, untrennbar von seiner Organisation wahrgenommen werden kann. Es gibt daher viele Dinge, die wir in den nächsten Wochen als sinnvoller erachten. Alemannia Aachen gegen Rot-Weiß Oberhausen oder SSV Ulm gegen Eintracht Trier zum Beispiel. Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit wird uns auch das heimische Hallenturnier mit Befreiungsschlägen unters Dach sowie John McClane an den weihnachtlichen Tagen bestens unterhalten.

In diesem Sinne, bleibt offen und sportlich und liebt, wen ihr wollt. Nur nicht RB Leipzig.

Eure Furche

Hopp done: Lokomotiva Zagreb vs. Dinamo Zagreb 1:2

LIGA: 1. HNL, 18.09.2022, 10. Spieltag
GROUND: Kranjčevićeva
Zuschauerzahl: 3254
EINTRITT: k.a.; Freikarte durch Kontaktmann
BIER: Ožujsko, 0,4l 25 Kuna (ca. 3,50€)
BESONDERE VORKOMMNISSE: Gästekontrolle bis auf die Unterwäsche

Na zdravlje aus Zagreb! Von Kumpel Dario abgeholt worden, man kennt und liebt sich seit nunmehr acht Jahren „Punkrock Holiday“-Festival in Slowenien. Schnell gelernt, dass „Lokomotiva gegen Dinamo“ nur auf Google Maps ein Stadtderby ist. Keine Rivalität, keine Ausschreitungen, die Haupttribüne ein bunter Mix aus Alt und Jung beider Vereine. Zagreb bedeutet Dinamo, Punkt. Das merkt man nicht nur an den vielen Graffitis in allen Stadtteilen, sondern vor allem in Gesprächen mit Einheimischen. Der eigentliche Gipfel Kroatiens sind die Partien zwischen Dinamo und Hajduk, doch auch schnell durch Dario und seine Clique gelernt, dass Hajduks Supporter „much bigger“ und verrückter als die von Dinamo sind, wenngleich Dinamo der größere Club ist. Das ist kein Geheimnis, muss aber auch hinsichtlich der Stadtgröße Splits (170.000) und Zagreb (820.000) nochmal herausgestellt werden.


1921 erbaut, liegt das Stadion Kranjčevićeva sehr zentral, unweit des Busbahnhofs. Größte Kulisse war mit 18000 Zuschauern die Partie zwischen Jugoslawien und Deutschland – einen Monat nach dem Überfall auf Polen 1939. Ein Ground der ganz alten Kategorie: massive Haupttribüne, hier und da bedenklich baufällig mit erotischen Rissen in der dritten Schicht Verputz, dort dienen im Ovalen die Reihenhäuser im Rücken als Bühnenbild. Ein Schauspiel war auch der Einlass am Gästeblock, wo sich die „Bad Blue Boys“ (BBB) nach dem Drehkreuz in Einzelhaft begaben und sich teils bis auf die Unterhose auszogen. Immerhin hatte der Ordnungsdienst Matten und kleine Schuhregale bereitgestellt, währen die Scanner die Zehen abtasteten. Nach dem BBB-Marsch mit kollektivem Hitlergruß durch Mailand, standen die Ultras unter besonderer Beobachtung. Das Spiel? Nicht der Rede wert. Dinamo als Spitzenreiter mit einer 08/15-Leistung, „ein gutes Pferd“ hat sich selten so sehr den Namen verdient. Josip Drmic harmlos, aber mit vielen Kilometern, Auswechslung in Minute 86.

Ein besonderer Dank geht an Dario, dessen Sohn bei Lokomotiva in der Jugend spielt und über freundschaftliche Kontakte im Verein Karten besorgte. Furche quittierte das standesgemäß mit ein paar Rutschen Pivo.

Hopp done: Atlas Delmenhorst vs. St. Pauli II 3:2

LIGA: Regionalliga Nord, 26.08.2022, 6. Spieltag
GROUND: Stadion an der Düsternortstraße, 1205 Zuschauer
EINTRITT: 10€ (Steh- und Sitzplatz)
BIER: Haake Beck, 0,3l/3€
BESONDERE VORKOMMNISSE: Ordner faltet Rucksack auf DIN-A4-Größe: „Jetzt darfste!“

Neun Minuten brauchte die Bahn von Bremen nach Delmenhorst. Ebenso schnell war man beschwipst, ließ man bei Ankunft das Bier links liegen und startete erstmal mit Bacardi Cola und Gin Tonic. Letzterer war so stark, dass der DJ gar nicht so viel 90er Jahre Bravo Hits für die gute Laune hätte spielen müssen.

Ansonsten ganz viel gemischtes Publikum, wie sich das bei einem Traditionsverein gehört. Die Kids der eigenen Jugendteams huschten ebenso im Rund umher wie die zahlreichen Rollatoren der Rentner. Zu den 1205 Zuschauenden gesellte sich auch etwas braune Soße aus dem sogenannten „H-Block“, der mit Gesängen wie „Fußball ist ein Männersport“ zu ekeln wusste.

Das tat aber der Atmosphäre nicht weh, abseits dessen war alles herzlich und nett aufgelegt. Ein Ground alter Tage eben, wo für Regionalliga-Verhältnisse richtig was los ist und sich Securitys noch Zeit für einen Small Talk nehmen. Und hey, wovon träumen wir in der Nacht, wenn nicht von einer Holztribüne mit einer Briese Taubenschiss!? Darauf ein Gin Tonic mit wenig Eis, bitte!

Mit dir fing alles an

Haben jetzt mal „Die Figo-Affäre“ auf Netflix geschaut. Die Hoffnung, kein Hochglanz-Porträt mit Drohnenflügen über Anwesen und Superzeitlupen zu sehen („Kroos“, „Schweinsteiger“), wurde nicht zerstört. Mehr noch: Wer glaubt, nur ein Retro-Dokument für Nostalgiker präsentiert zu bekommen, wird eines Besseren belehrt.

Die Doku schafft den Transfer zwischen den Anfängen Florentino Pérez‘ und dessen heutigen Super-League-Ambitionen. „Luis, mit dir fing alles an“, ist ein wichtiger Satz in den 100 Minuten, die durchaus aus weniger hätten sein können. Figo ist dabei das Instrument, um die Verhältnisse in Spanien wieder gerade zu rücken. Die eigentlichen Protagonisten sind in ihrem Streben nach Macht Egomanen, lügen und hintergehen. Und inmitten dieser auch medialen Schlacht reißen die alten Fragen nach Identität auf. In Madrid handeln sie wie die Schergen Francos, in Barcelona basteln sie hochemotional an neuen Helden der Unabhängigkeit. Dabei rückt auch Pep Guardiola als bester Freund Figos in ein interessantes Licht.

In Summe lohnt sich der Klick also, weil die Doku vom gängigen Schema des Porträts Abstand nimmt und stattdessen Systeme offenlegt, die den heutigen Transferwahn gleich miterklären.

Hopp done: Fortuna Sittard vs. SC Cambuur 1:4

LIGA: Eredivisie, 20.08.2022, 3. Spieltag
GROUND: Fortuna-Sittard-Stadion, 8357 Zuschauer
SITZPLATZ: 14€
BIER: BRAND, 5€/0,5l
BESONDERE VORKOMMNISSE: Ordner schaffen betrunkenen Ordner weg

Ein Stadion so schön in Brache gebaut wie es Mainz nicht hätte besser machen können. 45 Minuten dauerte die Busfahrt von Geilenkirchen, ehe ein Fußweg entlang der Gleise zu diesem weiteren architektonischen Meisterwerk niederländischer Stadionbaukunst führte. Seit fünf Jahren ist Fortuna Sittard zurück in der Eredivisie. Da ließ sich Besitzer Acun Ilıcalı (ihm gehört auch Hull City) nicht zwei Mal bitten, und kaufte Burak „The Lion of Turkey“ Yılmaz. Ob der Bulle in der Box den Grün-Gelben helfen wird, sei einmal dahingestellt, kann der 37-Jährige nämlich kaum noch einen Sprint anziehen. Doch zack, schepperte es auch schon im Tor der Friesen aus Leeuwarden: Tor von Yılmaz (10.) Was wissen wir schon!?


Die Freude über die Führung roch man schnell in den letzten Reihen der Tribüne. Ordentlich Bubatz machte sich breit, was einen Rentner mit seiner Gemahlin der Marke „Lions Club“ völlig ausrasten ließ. Die drei Jungs mit insgesamt zwanzig Zähnen beantworten dies ein paar Minuten später mit einer Friedenspfeife. Generell liefen im „Fortuna-Sittard-Stadion“ irgendwie ziemlich viele Verrückte rum. Einer trug nur eine Boxershort, ein anderer nahm mit sechs (!) Frikandeln, je mit Brötchen, Platz und verspeiste sie alle binnen 15 Minuten, ehe er sich ebenfalls mit Bubatz beschäftigte. Und dann war da noch ein Ordner, der so einen im Tee hatte, dass er von zwei anderen Ordnern abgeführt werden musste. Dem allgemeinen Rund bescherte das den letzten Lacher des Tages: am Ende hieß es 1:4. Cambuur ein starker Gegner, der vor allem im Aufbau überzeugen konnte. Kein Angriff ohne Idee, kaum ein Ball, der nicht die Außen fand. Und Sittard? Drei Spiele, null Punkte, Mund abwischen, Bubatz rein. Bis zum nächsten Mal!

Hopp done: MVV Maastricht vs. ADO Den Haag 3:1

LIGA: Keuken Kampioen Divisie, 2. Liga NL, 19.08.2022, 3. Spieltag
GROUND: Stadion De Geusselt, 4098 Zuschauer
SITZPLATZ: 15€
BESONDERE VORKOMMNISSE: Kollege für Halbzeit eins aus Versehen nicht drei, sondern sechs Mal 0,5l angekarrt.

Maastricht, du wunderschöne Stadt an der Maas! Und diese Namen: André Rieu, Tom Dumoulin und natürlich Boudewijn Zenden! Und dann Freitagabend, zweite Liga, Flutlicht, Frietjes met Andalousesaus – was will man mehr!? Doch zack, haute direkt ein dicker Minuspunkt in die Wertung: Stand auf der Homepage, dass an Spieltagen „alle Kassen eine Stunde vor Spielbeginn geöffnet sind“, sah man sich vor Ort eines Schlechteren belehrt. In der gesamtem Peripherie konnten keine Tickets gekauft werden, weder hatte eine Kasse geöffnet, noch konnte ein Fanshop helfen. Nur Ordner mit der Laune von Disco-Türstehern, die sagten: „Registration, one person, one ticket“. Dank je wel!

30 Minuten vor Anpfiff musste also jeder von uns hastig einen eigenen MVV-Account anlegen und ausschließlich für sich allein eine Karte kaufen. Achso, und bitte nur mit VISA oder Mastercard. Mit schlecht gezapftem Bier ohne Kohlensäure der Marke Brand für 5,50€ Maurerklasse ging es dann endlich auf die Tribüne des Stadion (Business Park) De Geusselt.

Typisches NL-Stadion halt: Man weiß nicht so recht, ob man gerade am Eingang einer Mall steht. McDonald’s, Fitnesscenter, China-Restaurant und Wohnkomplex in einem, Kunstrasen rundet das plastische Unwohlsein ab. Soll sich noch mal jemand in Deutschland über moderne Stadien aufregen! Für die Wiedergutmachung sorgten zum einen 4.098 Zuschauende, die durchgehend Bambule machten und zum anderen ein technisch sehr feines Fußballspiel mit teils offenen Visieren. Aber was soll man sagen!? Nicht alles ist Bombonera – und Hoppen mit Kumpels immer ein duftes Erlebnis. Bedankt!

2. Liga: Prognosen zu Prognosen

Kickoff am Betze. Lautern empfängt Hannover. Glaubt man den Vorberichten, zieht der Sieger bereits mit sechs Punkten weg. Das passiert aber nicht, weil Computer Bild 1:1 getippt hat. Glaubt man den Vorberichten, beginnt heute übrigens nicht mehr die beste, sondern „härteste Liga aller Zeiten“.

Und überhaupt Vorberichte: demnach ist der HSV wegen fehlender Präsenz anderer Raptoren so unter Druck wie seit Díaz in Karlsruhe nicht mehr. Wenn nicht jetzt, wenn daaaaaaargh und so Müll, und der Glubb steigt auf (11 Freunde), während H96 den Sprung ins Oberhaus verpasst – das sagen zumindest 51% einer kicker-Umfrage. Terodde prognostiziert derweil Armina und Fortuna hinter dem HSV. Darmstadt wird laut sport.de-Umfrage übrigens mit einer Wahrscheinlichkeit von 8% Meister. Für den Abstieg bietet Tipico mit Quoten zwischen 2,30 und 2,70 Regensburg, BTSV und KSC an. Masaya Okugawa prostet man als Torschützenkönig mit einer 60,0 zu.

Völlig klar: der Himmel über Kiel

Wichtig ist auch zu wissen, dass Alois Schwartz in Sandhausens elfter Zweitligasaison „Demut“ fordert (Zeit Online) und Christian Titz mit seinen Magdeburgern das instabile Projekt „Restraumverteidgung“ angehen will (sportschau.de).Bei all den Unsicherheiten tut Stabilität gut. So wissen wir Dank der Leserschaft von HLSports zumindest sicher, wo Holstein Kiel vor der Rückrunde landen wird (siehe Grafik).

Ein Schlückchen Sekt vielleicht?

Es gab ja schon immer Dispute zwischen Fragestellenden und Spielenden, das ist nichts Neues. Das Mertesacker-Interview zum Beispiel steht dafür stellvertretend. Aber, und darin liegt der feine Unterschied, rutscht Toni Kroos ins Persönliche ab: „Du hattest 90 Min…“ ist sinngemäß nichts anderes als: Du machst dein Job nicht richtig, ich bin gerade CL-Sieger geworden, also lass mich in Ruhe. So ist es nicht verwunderlich, dass Kroos für seine Reaktion nicht nur gefeiert, sondern auch kritisiert wird: weil er in diesem Moment über den Dingen steht.

Und so eine Reaktion ist ja nie ohne Kontext zu sehen. Da ist der perfekte Fußballer, das „Hirn“ eines Spiels, wie in spanische Zeitungen gerne nennen, der immer abwägende, rationale Vollprofi. Da ist aber eben auch der oft zitierte „Familienmensch“, dem Privatheit heilig ist, der aber eine Doku über sich und eben diese Privatheit drehen lässt und nach Abpfiff gegen Liverpool die Familie ins Rampenlicht stellt. An Punkten wie diesen denkt man sich dann kurz, dass irgendwas nicht zusammenpasst und alles, inklusive Familie, Teil einer Inszenierung ist. Ein Kumpel schrieb humorvoll, aber irgendwie auch richtig: „Das wäre dem Raab nicht passiert!“

Und es ist einfach herrlich, wie auf einem Mitschnitt bei den Feierlichkeiten in der Kabine zu sehen ist, wir er ein Sektglas von Eden Hazard strikt ablehnt. Alle am Springen und Ausrasten, doch ein Schlückchen Sekt ist null möglich, weil da immer Kontrolle und Contenance herrschen und für sein Ego auch bewahrt werden müssen. Oft hieß es nach dem ZDF-Interview im Netz, Kroos‘ Verhalten sei unprofessionell gewesen. Das stimmt so nicht: Was hier sichtbar wurde, ist nicht die fehlende Professionalität, sondern seine Über-Professionalität. Durch die Fragen, die nicht Begeisterung und Glückwünsche ausdrückten, fühlte sich Kroos in genau dieser angegriffen. Indem er persönlich wurde: Klar, dass du aus Deutschland bist…du hattest Zeit für gute Fragen usw. In dem Moment sieht er Kaben als unvorbereitet – was ihm selbst nämlich nie passiert. Und das fuchst ihn. Deshalb verlässt er kurz seinen Kokon.

Die Abfeierei im Netz war geradezu schizophren. Da wird plötzlich genau der, dem besonders bei DFB-Pleiten bei Turnieren fehlende Kanten und ein steriler Charakter vorgeworfen werden, zu einem „mit Eiern“, der sich „nicht alles gefallen lässt“. Und dass man einem so erfolgreichen Mann mit fünf CL-Titeln nicht solche Fragen stellen darf, ist hinsichtlich des exponierten Leistungsprinzips auch sehr, sehr deutsch. Das macht das Ganze fast schon eklig.

Man muss kein Fan von Nils Kaben sein, weil er oft und gerne süffisant daher- und dazwischenredet. Aber der Mann ist seit Jahrzehnten bei Olympia und Co. am Start und macht in der Sportberichterstattung letztlich auch nur seinen Job. Er hat es nicht verdient, als dummer Junge stehengelassen zu werden. Genau dafür sorgt Kroos aber in diesem Moment. Und das sagt sehr viel aus. Mehr als die Kroos-Doku allemal.

Der Kontaktsport des Stafylidis

Konstantinos Stafylidis bekommt nach seinem bösen Tritt gegen Freiburgs Roland Sallai also drei Spiele Sperre. Wir sagen: zu wenig – und müssen uns indes über den Einspruch des VfL Bochum doch sehr wundern. Dass der eigene Trainer auf die Aktion mit einem spontanen Scheibenwischer reagierte, steht stellvertretetend für die Bewertung der Szene. Dabei ist daran zu erinnern, dass der Name Stafylidis bereits in der Vergangenheit durch genau solche Aktionen Bekanntheit erfuhr.

Breel Embolo, damals 19 Jahre jung und bei S04 unter Vertrag, fand sich im Oktober 2016 nach einem Horror-Foul von Stafylidis im Krankenhaus mit Brüchen von Sprunggelenk und Wadenbein sowie Rissen des Syndesmose- und eines Innenbandes wieder. Nach mehreren Rückschlägen in der Reha stand bei Embolo zeitweilig der Status der Invalidität im Raum, das Karriereende war ein realistisches Szenario. Der Aufreger damals und noch ohne VAR: Stafylidis bekam lediglich die gelbe Karte. „Ich kenne den Spieler und weiß, dass er seine Gedanken nicht koordiniert. […] Absicht unterstelle ich ihm nicht – aber Dummheit“, kommentierte Schalkes damaliger Coach Weinzierl.
Wochen nach dem Foul und einer persönlichen Entschuldigung per SMS an Embolo machte der Grieche damals klar: „Wenn man die Bilder sieht, wird noch einmal deutlich, dass das keine Absicht, sondern ein Unfall war. So leid es mir tut, aber Fußball ist Kontaktsport, da passieren leider Verletzungen (…) Deswegen habe ich meine Spielweise nicht geändert.“ Nach solch einem Foul von „Kontaktsport“ zu sprechen, bedurfte schon damals fehlende Selbsteinschätzung und Demut.

Verstehen wir uns nicht falsch: Es geht hier um keine Hexenjagd, aber doch sehr wohl um die Frage, ob der Begriff des Wiederholungstäters vom DFB nur trocken nach Statuten, also bei mehrmaligen Platzverweisen angewandt werden, oder in einem Handlungsspielraum erzieherischer und präventiver Maßnahmen greifen sollte. Vielleicht würde Stafylidis ja dann seine Spielweise ändern.

Erst River Plate, dann Spendenfahrt

Bevor sie mit ihrem Fahrrad für den guten Zweck durch Südamerika reist, sendet uns Furchen-Korrespondentin Lisa Achatzi sportliche Grüße von ihrem aktuellen „Nachbarhaus“ in Buenos Aires. Ein Spiel von River Plate wird sie im El Monumental leider nicht sehen können, da sie für ihre Spendenfahrt, u.a. für die UNO-Flüchtlingshilfe und Viva con Agua, bereits ab Samstagmorgen in Uruguay in die Pedalen tritt.

2020 musste sie ihre Tour nach 10500 Km zwar wegen Corona abbrechen, doch fuhr sie schon damals den stolzen Betrag von 15125 Euro für SOS-Kinderdorf Deutschland zusammen.

Wer in all dem eine gute Sache sieht und Lisa supporten möchte, kann das hier tun –> https://t1p.de/b2o8 Vielleicht schießt sie für uns ja dann noch mehr Fotos von geilen Betonschüsseln.

Ihr Blog ist übrigens der hier: http://www.wheelsoffortune.org; Instagram: wheelsoffortune.lisa

Hopp done: Westfalia Herne vs. Kaan-Marienborn 2:5

Schicksal, also los!

Warum wir englische Fußballkultur lieben? Klar, da gibt es die bekannten Dinge wie das biblische Alter gewisser Stadien oder die angemessene Huldigung ehemaliger Spieler. Und klar haben auch der ein oder andere Pie mit aufgetauten Innereien oder die Spontanität für strophenlange, äußerst humorvolle Gesänge dazu beigetragen. Hin und wieder war man auch froh, dass ein blanker Oberkörper dem Dresscode entsprach. Doch was wir wirklich lieben, sind diese kleinen, aber sehr feinen Unterschiede in der Einstellung zum rein Sportlichen.

(Foto: Schottische Furche; Barnet F.C., 2012)

Als zum Beispiel gestern Everton im FA Cup auf Boreham Wood traf, erinnerten wir uns an ein längeres Gespräch mit zwei Villa-Fans in The Manor Tavern, einem Pub im Birmingham. Da ging es nämlich um genau das Thema, welches gerade abgepfiffen wurde: es ist Pokal und ein Erstligist empfängt (!) einen Fünftligisten. Der Tausch des Heimrechts konnte keine Diskussion auslösen, weil das für die zwei jungen Männer völlig absurd klang. Warum das Heimrecht tauschen? Was hat das mit Fairplay zu tun? Was will der Kerl von uns? Und dann beginnt man sich völlig abzuarbeiten daran, dass der kleinere Verein doch eh schon im Nachteil sei und dessen Kasse auch mal richtig schön voll würde und dass so manche Kleinstadt oder gar Provinz das „Spiel des Jahrzehnts“ bekämen. Natürlich haben die beiden verstanden, was wir meinten, doch das Verständnis für diesen Modus war gen null. Schwer zu beschreiben, außer vielleicht damit, dass man gefühlt von zwei Boxern angeschaut wurde, die einem nur durch Blicke mitteilten: „Schicksal, also los.“

Und da machte es dann doch Klick, worin so mancher Unterschied besteht. In England herrscht seit jeher – und vielleicht stammt das auch aus früher Rugby-Geschichte, als so manches Feld keine Begrenzung hatte und der Ball schonmal von Dorf zu Dorf getrieben wurde – diese banale Sicht auf das Abrufen von Leistung: Es ist egal, ob du vor vor 50000 oder 500 Leuten, bei Nebel oder Flutlicht, vor upper oder working class spielst. Und das ist weder Parole, noch Floskel. Abseits von Ball und Körper sind alles andere natürliche Gegebenheiten, die keinen Einfluss auf Sieg oder Niederlage haben. Deshalb konnten uns die beiden Villans auch nicht folgen. Tausch des Heimrechts? Was soll das? Es gibt keine gesetzten Teams, es wird gelost, bei Unentschieden gibt es ein Rückspiel. Das ist schließlich der FA Cup und nicht der Mickey Mouse Cup (League Cup). Am Ende gibt es eine grüne Wiese und du musst dich wehren. Und wenn du als Fünftligist zum Erstligisten reisen musst, ist das eben so. Everton bleibt schließlich Everton, darum geht es. Deswegen kam den beiden auch der Gedanke an Losglück- oder pech etwas komisch vor.

Es ist eine völlig andere Denke, bei der das Wesentliche im Vordergrund und das ganze Drumherum maximal als stillose Ausrede betrachtet wird. Vielleicht liegt darin auch die generelle Ablehnung gegenüber Schwalben (Klinsmann), Schauspielerei (Robben) oder Schuldzuweisungen (Guardiola). Du verlierst das Spiel? Ok, das ist mit keinem Wetter, Schiedsrichter, Klassenunterschied oder stumpfen Rasen zu erklären. Es ist allein dein Problem. Ja, das lieben wir.

Und Pubs.

M’Gladbach mit Schalker Dynamiken

„Der BMG-S04-Vergleich hinkt!“, schrieb uns ein User. Warum uns also die Entwicklung von Borussia Mönchengladbach an die des FC Schalke 04 erinnert? Die gleichen Dynamiken, die gleiche Selbstzerstörung, die gleichen Charaktere in der Mannschaft, die gleichen Ziele, die gleichen Vier-Jahres-Pläne. Und dann diesen hochprozentigen Mix aus Tradition und Historie auf den Schultern! Und Trainer, die dachten, den nächstgrößeren Schritt zu machen und jetzt allein dastehen. Und nach zwei, drei Niederlagen versuchen den Hals aus der Schlinge zu ziehen, indem man sich reagierend nach Gegner und Spieltag und Situation richtet. Mit einem Kader, bei dem jeder schon alles gespielt hat, aber jeder nur das eine spielen will. Und ein überforderter Aufsichtsrat, der hilf- und tatenlos zuguckt und nun vielleicht merkt, dass der sportliche Vorstand über die Jahre hinweg mächtiger wurde als man selbst. Und ein Wechsel von Managern, die entweder fliehen oder aber die Zeichen der Zeit erkannt haben. Und gestandene Spieler, die sich vors Mikrofon stellen und glaubhaft verzweifeln (Stindl, Stambouli). Und durchaus gute Fußballer, die dir aus einer 2:0-Führung auch ein 4:0 kredenzen, aber bei Rückständen versagen, sich selbst jedoch in der Champions League sehen (Plea, Raman, Thuram, Konoplyanka, Bénes, Bentaleb, Zakaria, Harit, Bensebaini, Schöpf, Oczipka, Elvedi, Serdar). Und diese internationalen Plätze, die so weit weg sind und mit denen man so fest kalkuliert hat. Pardon, spekuliert hat. Und Fans, die gedanklich gerade erst aus Europa zurückkommen. Und sowieso, dieses Geld, das plötzlich gar keins ist. Nur über eines kann BMG froh: kein Tönnies weit und breit.

Jetzt ihr. Sehr gerne.

Afrika-Cup: peinliche Berichterstattung

„Hahahaha“ ist so ziemlich alles, was gerade von vielen Sportberichterstattungen mit ihren Beiträgen zum Afrika Cup erhascht werden soll. Ja, da pfeift ein Schiri zweimal zu früh ab und ja, da wird dreimal die falsche Nationalhymne gespielt, doch was daraus hier im Westen gemacht wird, ist nichts weiter als die Herausstellung des Exotischen. Es schafft Stereotypen aus kolonialen Zeiten: Afrika kann sich nicht selbst organisieren, in Afrika herrscht keine Ordnung, Afrika fehlt der Ernst für Professionalität. Das Ganze läuft natürlich hervorragend mit Clickbaiting durch Teaser wie „Das ist wirklich mehr als peinlich!“ (SPORT1). Der Couch-Potato-Mob reibt sich da natürlich gerne die Hände: „Hahahaha! Diese Afrikaner!“ Die Dynamik in den Kommentaren: selbsterklärend wie widerlich.

Ist möglicherweise ein Bild von Text „sport1 SPORT1 8 Std. Das ist wirklich mehr als peinlich!“
Sport1 via Facebook

Um das klarzustellen: Es geht nicht darum, dass darüber berichtet wird. Es sind Nachrichten über ein großes Turnier und damit relevant. Doch geht es einerseits um die Verhältnismäßigkeiten zur sportlichen Berichterstattung und andererseits um die Art und Weise, wie Redaktionen mit der skurrilen Situation eines Fußballspiels einen ganzen Kontinent vor die Flinte spannen. Und das ist, im umgedrehten Sinn, auch typisch – typisch Westen nämlich. Das ist es, was am Ende eines Tages im Jahr 2022 peinlich ist.

Von Dallas in die Puppenkiste

Ricardo Pepi wechselt also für 16 Millionen Euro plus Spesen zum FC Augsburg. Generell darf man natürlich über das pralle Portemonnaie der Fuggerstädter verwundert sein. Ist ja nicht so, dass Jahre des europäischen Fußballs hinter dem Verein liegen oder die Liga im Allgemeinen auf pandemiefreie Zeiten ohne Einbußen zurückschaut. 16 Millionen für einen 18-Jährigen, der im November noch einen Marktwert von 8 Millionen hatte. Oder wie Reiner Calmund oder Mario Basler vielleicht sagen würden: „16 Millionen für einen 18-Jährigen, der nicht einmal aus Brasilien kommt!“

Wir hingegen machen uns da eher praktische Gedanken. Einem Stürmer diesen Alters täte zunächst einmal ein Trainer gut, der einen offensiven Geist verkörpert. Der das Spiel um des Spielens und nicht des Zerstörens willen angeht. Da wird es bei Markus Weinzierl doch recht eng. Wenn dein ganzes Spiel auf den einen Moment ausgelegt ist, musst du aus zwei Chancen bestenfalls drei Tore machen. Ideale Voraussetzungen für einen 18-Jährigen Stürmer, um sich erst einmal akklimatisieren zu müssen – und dann zack, keine Startelf mehr und dann zack, spricht Stefan Reuter von Anpassungsschwierigkeiten, „die aber völlig normal sind“. Und dann wissen beide Seiten bereits, dass 16 Millionen acht zu viel waren.

Aber was wissen wir schon. Das „Sturmjuwel“ (kicker) schießt den FCA aus dem Tabellenkeller und ist nach der Saison so umworben, dass irgendein bekloppter Zweitligist aus England 30 Millionen auf die Ladentheke wirft und der gute Stefan Reuter alles richtig gemacht hat. In den USA sind Augsburg und die Puppenkiste dann so bekannt, dass es bei einer Promo-Tour auf Liverpool, AC Milan und die New York Red Bulls trifft.

Schrei nach Liebe: Danke MSV und VfL

Es ist ekelhaft und traurig, was beim MSV passiert ist. Viel wichtiger ist zu verstehen, dass es wahrlich nicht um „nur einen Typen“ geht, wie es in so vielen Kommentaren leider zu lesen war. Da schreiben weiße Menschen, dass dann „ja jeder Zuschauer ein Spiel abbrechen kann“. Das ist eine falsche Denke. Denn es ist egal, ob es einer oder mehrere sind, die Affenlaute und rassistischen Müll von sich geben. Es geht um die Gefahr, dass so etwas generell möglich oder (auch dank scheiß AfD) gar salonfähig wird.

Der Lob gilt an dieser Stelle allen Beteiligten, die sofort und richtig reagiert haben. Da überführen MSV-Fans den Täter, da rufen beide Fanlager gemeinsam „Nazis raus!“, da besprechen und entscheiden die Verantwortlichen beider Vereine, ohne Relativierung oder Abwägung, das Ende des Spiels, aus den Stadion-Boxen ertönt spontan „Schrei nach Liebe“ der „Ärzte“.

Das alles geht nur, wenn du als Club von grundauf so eingestellt bist, das kannst du nicht aus der Ablage holen. Obendrein in einer sportlich miserablen Situation. Wir waren gegen Verl als Hopper zu Besuch beim MSV. Dem Verein geht es schlecht, die Atmosphäre ist bedrückend, immer wieder Grlić-raus-Rufe, es roch regelrecht nach Abstieg in die Regionalliga. Inmitten dieses Schlunds völlig klar zu sagen ‚Nein, es gibt Wichtigeres als Fußball‘ mag von außen betrachtet vielleicht keine Heldentat sein, doch gebührt dem trotzdem Respekt. Auch danach klare, glaubhafte Worte. Der Täter wird angezeigt, im Nachholspiel möchten beide Vereine die Chance nutzen, um gemeinsam (!) ein Zeichen gegen Rassismus zu senden.

So muss die überwältigende Mehrheit zusammenhalten und handeln. Zögert nicht, wenn jemand im Stadion ähnlich auffällt. Schreckt nicht zurück, Kopfschütteln reicht nicht. Steht auf, tut etwas, entweder selbst, mit anderen oder mit Hilfe eines Ordners. Es ist egal, wie so etwas ausgeht. Es geht nur darum zu sagen: Nein, so nicht! Es muss jedem braunen Vollpfosten klar sein, dass dann Gegenwind kommt. Nazis raus – Im Stadion und überall.

Die Nerven des Emre Can

Der BVB scheidet verdient aus der UCL aus. Aufreger des Spiels war der rote Karton gegen Emre Can. Erster Gedanke war: Das ist doch wohl ein Witz! Pedro Porro fädelt ein, tritt sogar, fällt hin, schauspielert. Der zweite Gedanke war: Das kann nur ein Witz sein! Der Schiri geht jetzt raus, schaut sich das an und revidiert seine Entscheidung.

Vorher, na klar, Rudelbildung, Elf und Bank dabei, die Zeit streicht dahin, Spielfluss zerstört, Publikum auf den Barrikaden, Sporting alles erreicht, Dortmund nimmt die Provokationen dankend an. Leider fehlten auch bis nach Spielschluss weitere Bilder und Nahaufnahmen, bei DAZN setzte sich Sandro Wagner mit uns auf die Couch und sprach ebenfalls von einem Witz-Elfmeter. Nach Porros Faller habe Can sich nur mit mahnenden Worten zu ihm gebeugt, einen Schlag habe es ebenfalls nicht gegeben. Richtig.
Doch irgendwie blieben da plötztlich diese fünf Prozent Magengefühl, dass bei Emre Can eben selten nichts ist, wenn er involviert ist. Denn ohne Vorverurteilung: Wenn sich Provokation gegenüber einem gegnerischen Spieler in dieser Phase des Spiels lohnt, dann war und ist Emre Can für jeden Gegner wie ein Sechser im Lotto. Weil Weggehen für ihn unmöglich ist. Und so kommt es dann am Ende so, wie es eins zu eins ein gebrauchter Abend definiert: Can steigt Porro schön mit der Sohle auf den Knöchel, als der bereits am Boden liegt. (Bild: kicker)

Natürlich kann man darüber streiten, wer angefangen hat und mit welchen unfairen Mitteln Sporting und Porro das alles erzwungen haben. Doch sind es eben auch die blanken Nerven von Can. Und die Bilder zeigen klar, dass der Platzverweis vielleicht diskutabel, aber eben kein “Witz“ und somit keine klare Fehlentscheidung war.

Barcas Brechstange

Furche übrigens El Clásico geguckt und danach regelrecht verstört gewesen. Besonders hinsichtlich Barca ist uns kein Zeitraum in Erinnerung, in dem die Katalanen so schwach und ohne Sinn und Verstand zusammengesetzt waren. Da ist einerseits behäbiger und umständlicher Koeman-Fußball, aber andererseits auch ein Kader aus viel Mittelmaß und Grüppchenbildung. Da zocken junge Kerle unter sich, da wird ein Coutinho erstmal auf der Bank geparkt, da kommt in Minute 74 ein Agüero für einen, der ihn eigentlich bedienen müsste (Ansu Fati).

Es passt hinten und vorne nicht, von außen wird Risiko als Fremdwort vorgelebt und Memphis Depay als kreative Schaltzentrale kommuniziert. Trauriger Höhepunkt war die Einwechslung Luuk de Jongs fünf Minuten vor Schluss, in denen man den Niederländer bemitleiden musste. Jeden Ball verstolpert, völliger Fremdkörper, Ballbesitz bedeutete Ballverlust. Es ist so befremdlich, dass der FC Barcelona, seit jeher die Inkarnation für fußballerische Schönheit, hilflos hohe Bälle in den Strafraum kloppt und auf die Stirn eines 31-Jährigen angewiesen ist. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Barcelona packt die Brechstange aus. Gut, dass König Johan das nicht mehr ertragen muss.

Schon deshalb hatte dieser Clásico nichts mit europäischem Spitzenfußball zu tun. Kaum größere Namen, keine epischen Eins-gegen-Eins-Duelle, keine virtuosen Momente. Im Anschluss Liverpool zocken zu sehen, kam einer Erlösung gleich.

Hopppics: Rot-Weiss Essen vs. Fortuna Köln

Kurzer Nachtrag zum 2:1 zwischen Rot-Weiss Essen und Fortuna Köln. Hafenstraße einfach stabiler Ground. Klientel auch stabil. 7500 laute Zuschauer, mehr durften nicht. Verrückter Kick. Führung durch Gäste, dann RWE Dank eines saublöden Fouls von Fortunas Jan-Luca Rumpf und anschließendem Freistoß erst zum Ausgleich, dann per Elfer zum Abpfiff mit Schuss Richtung Bierbude. Stadionsprecher wie auf Droge/Kirmes, Musik zwischen Schlager und Deutschpunk, ein Essensstand mit Krakauer, Bratwurst, Frikadelle und Schnitzel – und Brezel für Vegetarier. Und Gästefans, die über die gesamte Spielzeit nur ein einziges “Lied“ anstimmen: Fortuna! Fortuna! Fortuna! Tat so weh, dass es gut tat.

Was wir bisher wissen

Erkenntnisse nach dem ersten EM21-Spieltag:

  • zwei gleiche Sechser machen noch keinen Achter
  • in totalitären Systemen gibt es es kein Corona
  • Mbappé mit leichtem Tempo-Vorteil
  • Körpersprache von Kai Havertz und Leroy Sané macht einen wahnsinnig
  • Qualität des Turniers eher so lala Réthy
  • Fallschirmspringen doch schwerer als gedacht
  • Basti Schweinsteiger als Experte ist leider wie Kevin Volland als Linksverteidiger
  • Toni Kroos schießt jeden Freistoß
  • bei kickktipp führen wieder all diejenigen, die Ergebnisse aus Sympathien und Trikot-Geschmack abwägen
  • Tom Bartels einfach der bessere Skispringer
  • Recep Erdoğan und Baku ist wie Made und Speck
  • niemand interessiert, dass nebenbei die erste finnische Liga läuft
  • Almuth Schult und Sandro Wagner hört man gerne zu
  • Veltins-Kronkorkenaktion wieder reine Verarsche
  • Lukaku einfach krass, Lewangoalski (you know) mit zu vielen Tomasz Hajtos auf dem Platz
  • Goretzka und Kimmich auf der Sex
  • Goran Pandev, du bist ein Teufelskerl!
  • „Ginter kommt jetzt mehr zum Flanken, das kann er!“ (Béla Réthy)
  • sehen wir Joel Pohjanpalo, denken wir an René Rydlewicz
  • Re:Re:Re:Re: Türkei keine Turniermannschaft
  • Benny und Papa Fuchs werden mit ihrem Tipp falsch liegen

Bilder und Spiele, die keine sein sollten

Auch ein Tag später fällt es schwer, zu den bangen Minuten um Christian Eriksen etwas zu sagen. Heute aufgewacht und der erste Gedanke war: er hat’s geschafft! Nur das zählt. Und so starten heute wahrscheinlich weltweit Menschen in den Tag, die gestern live vor den Fernsehern für Eriksen die Daumen gedrückt haben. Eriksen ist kein Einzelfall, sondern einer von vielen Spielern, die auf dem Platz das Bewusstsein verloren, kollabierten oder plötzliche Herzattacken erlitten. Patrick Ekeng überlebte das unter skandalösen Umständen nicht, bei Abdelhak Nouri wurden nach einem künstlichen Koma bleibende Hirnschäden festgestellt, die Liste lässt sich erschreckend weit fortführen. Davon zu lesen oder hören ist schlimm genug, es live mitzuerleben furchtbar. Wir können für uns nur sagen, dass wir so etwas noch nie direkt miterlebt haben, die Bilder werden wir nie mehr vergessen. Alles, über das man im Fußball einmal geschrieben, geschimpft oder nach einem 0:3 bei Minusgraden geflucht hat, ist plötzlich so weit weg wie Planeten. Bei anderen kamen wiederum sofort Erinnerungen hoch, so schrieb Altravita-Blogger und Italien-Experte Kai Tippmann gestern via Twitter: „Ich habe noch Horror von der Radioübertragung, als [Piermario] Morosini gestorben ist. Niemand braucht Bilder davon.“ Und damit wären wir beim ersten von zwei Themen, die in der Nachbetrachtung thematisiert werden sollten.

Béla Réthys Schweigen

Es ist unerklärlich, wie eine Regie in dieser Situation so lange und penetrant Bilder des am Boden liegenden Eriksen zeigen konnte. Das machte wütend und fassungslos zugleich. Im Netz wurden zurecht Beispiele zu vergleichsweise völlig harmlosen Bildern wie Flitzern und Pyrotechnik geknüpft, deren Übertragung sonst gezielt unterbunden wird. Der Gipfel des Unsäglichen war schließlich das Zeigen von Eriksens Ehefrau. Das war so ekelhaft, dass einem fast schlecht wurde. Hingegen hat sich das ZDF, in persona vor allem Béla Réthy und Jochen Breyer, im Ganzen sehr seriös verhalten und mit der Abschaltung der Übertragung angemessen reagiert. Ja, das hätte durchaus auch einige Minuten früher passieren können, doch sollte sich bei aller Kritik vor Augen gehalten werden, wie schwierig und fordernd ein solcher Job mitsamt Entscheidungen in dieser Situation ist. Dass Béla Réthy sich indes für Schweigen entschied und dies nachvollziehbar wie empathisch kommunizierte, unterstreicht dieses professionelle Verhalten. Béla Réthy wird oft ob seiner fußballerischen Expertise als Kommentator von „gestern“ kritisiert, darüber lässt sich streiten. Worüber sich nicht streiten lässt: Als Eriksen um sein Leben kämpfte, tat die Erfahrung und Stimme Réthys gut. Es sind jene Momente, in denen seriöse Berichterstattung sicht- und hörbar wird.

Spiel fortsetzen oder nicht?

Über einen zweiten Punkt wurde unter anderem in den sozialen Medien bereits gestern teils sachlich, teils haarsträubend debattiert und geurteilt: War es richtig, das Spiel fortzusetzen? Allein die Frage war für uns zu diesem Zeitpunkt eine absurde. Viel präsenter und logischer waren die Überlegungen, inwiefern ad hoc bezüglich Russland gegen Belgien entschieden werden und ob es mit der EM überhaupt weitergehen sollte. Als dann die Nachricht kam, dass sich beide Mannschaften auf eigenen Wunsch für die Fortsetzung der Partie geeinigt hätten, war das kaum zu glauben. Und das ist auch am Tag danach noch so. Wir schließen uns diesbezüglich klar den Aussagen Christoph Kramers und Per Mertesackers an: die UEFA hätte intervenieren und das Spiel abbrechen müssen. Doch klar ist auch: Es ist keine selbstverständliche oder gar leichte Entscheidung, dem Anliegen der Spielfortsetzung von Seiten der dänischen Mannschaft, insbesondere nach dem Austausch mit Christian Eriksen, nicht nachzukommen.

Kasper Hjulmand stellte indes noch einmal klar, dass es keinen Druck von Seiten der UEFA gegeben habe. Desweiteren schildert Hjulmand, dass sich die Spieler nicht vorstellen konnten, die Partie am Sonntag um 12 Uhr nachzuholen: „Es war besser, es gleich zu machen.“ Kasper Schmeichel erklärte dabei vor allem das Problem, dass „die Spieler sich sicher waren, heute nicht mehr schlafen zu können. Morgen zu spielen, hätte die Situation noch schwerer gemacht.“ Im Nachhinein muss man resümieren, dass bei allem Glück im Unglück ein Reihe unglücklicher und falscher Entscheidungen getroffen wurden. Simon Kjaer bat um seine Auswechslung, weil ihm als enger Freund Eriksens ein Weitermachen unmöglich war. Ein stellvertretendes Beispiel dafür, wie schwer die Last in Köpfen und Füßen der dänischen Mannschaft nach Wiederanpfiff war. Die Entscheidung hätte schützender Natur sein sollen: bis hier und nicht weiter. Man stelle sich eine weitere schwere Verletzung oder die Nachricht eines gesundheitlichen Rückschlags bei Eriksen vor. Man mag gar nicht dran denken.

Innehalten statt Urteilen

Was uns bei aller Emotionalität jedoch auch umtrieb, waren die schnellen Urteile im Netz. Noch bevor klar war, dass die dänische Mannschaft um eine Fortsetzung bat, war die UEFA bereits der Buhmann. Das macht die Entscheidung der Spielfortführung nicht besser, doch rückt sie mit etwas Abstand zumindest in ein anderes Licht. In einer solchen Situation direkt Schuldige auszumachen und sich binnen Minuten auf digitalen Wegen darüber zu äußern, was falsch oder richtig sei, ist schlichtweg unangebracht. Besonders absurd war, dass einige User*innen in ihrer Argumentation pro Abbruch die Situation mit den Anschlägen von Paris oder dem Attentat auf den BVB-Mannschaftsbus verglichen, was nicht einmal ansatzweise Äpfel und Birnen sind zu der gestrigen Situation im Kopenhagenener Stadion. Ganz besonders da gilt es doch zu differenzieren. Niemand, außer den unmittelbar Beteiligten, konnte sich in diesen Augenblicken ein klares Bild von der Situation machen. Selbst Béla Réthy meldete sich erst lange nach Abpfiff zu der Entscheidung der Spielfortführung, nachdem er mit Betroffenen gesprochen und die Hintergründe prüfen konnte. Innehalten und einziges Mal nichts meinen, spekulieren oder kommentieren. Ein Mensch erlangt vor (leider) laufenden Kameras sein Leben wieder. Wann lohnte es je mehr, eine Nacht über Urteile und Meinungen zu schlafen?

Hatte alles Kopf und Fuß

Puh, Relegation hat inzwischen auch seine eigenen Gesetze und dazu gehört ganz sicher, dass es Fußball der Marke Baumstammwerfen ist. Aber ok, es geht um Alles und nicht um Schönheit, wer also bei #KOEKSV eine Augenweide erwartete, hat den Pressschlag nicht gehört. Trotzdem ist nach Spiel eins festzuhalten, dass es Köln halt wie erwartet gemacht hat: irgendwie bemüht, irgendwie optisch überlegen und irgendwie mit Kampf, doch vor allem in puncto Kreativität bemitleidenswert. Aus dem Zentrum zudem kein Tempo und noch weniger Ideen. Fazit ist schlimm, aber leider klar: der Effzeh spielt im Rahmen seiner personellen Möglichkeiten.

Vor Holstein Kiel hingegen kann man nur den Hut ziehen. So viele Partien in so kurzer Zeit so erfolgreich zu absolvieren, ist ein Beweis für eine mental richtig intakte Truppe. Vor allem die fünffache Ohrfeige in Dortmund haben wir als Vorzeichen für eine fallende Leistungskurve gewertet. Doch statt Panik oder Aufgabe, hat Ole Werner die nordische Kühle in der Kabine bewahrt. Heute zwar nicht sonderlich gefährlich, doch das, was die Störche auf dem Grün fabrizierten, hatte immer Kopf und Fuß und wirkte äußerst unaufgeregt. Ja, ein Remis wäre ok gewesen, doch unverdient ist der Sieg (inklusive Lattenschuss) sicher nicht. Außerdem gibt es beim Baumstammwerfen kein Unentschieden.

Raus aus dem Schatten

Es ist nicht leicht etwas über Oliver Glasner und Eintracht Frankfurt zu sagen, geschweige denn vorauszusagen. Doch einzelne Kommentare, er sei ein typischer Werks-Elf-Coach ohne Ecken und Kanten, gehören in die Tonne. Seine Arbeit bei Red Bull, als Co-Trainer unter Roger Schmidt, ist zehn Jahre her und eine kurze Zeit bei Wolfsburg machen einen unscheinbaren Coach noch lange nicht zum Symbol eines Autokonzerns. Vielmehr rufen wir jedem Adler-Fan zu: Wer mit dem LASK in 161 Spielen durchschnittlich 1,97 Punkte holt, muss ein paar kluge Ideen in der Tasche haben. LASK, das bedeute damals Aufstieg nach Chaos und Konkurs und Europapokal nach Aufstieg. Auch das sind die Fakten hinter einem Mann, dem gerne das unrühmliche Klischee der schulbuchmäßigen Trillerpfeife angeheftet wird. Klar ist aber auch, dass der 46-Jährige nun das erste Mal ein Umfeld mit mehr Wucht und mehr Medienrummel bekommt. Sonnte sich Glasner bislang bei seiner Arbeit gerne im Schatten, muss er in Frankfurt sicher des Öfteren Rede und Antwort stehen. Die Bühne dafür hat er jetzt – und fußballerisches Know-how ganz sicher auch.

Ein Vertrag wie ein Sargnagel

Kurz über einen ausgiebigen Artikel bezüglich Julian Draxler nachgedacht, doch dann schulterzuckend abgelehnt. Es ist alles gesagt über falsche Berater, Selbstüberschätzung und schlechte Entscheidungen zu noch schlechteren Zeitpunkten. Haben ihn unter Magath live gesehen und einfach nur gestaunt. Seine erste Bude im DFB-Pokal gegen Nürnberg, pah, was für ein Wahnsinn! Was für ein Talent! Wie kann ein Junge so viel in die Wiege gelegt bekommen? Ein Übersteiger hier, ein doppelter da, zack, vorbei, schnell, kreativ, verwegen, alles beim ihm sah so verdammt leicht aus. Dieser Bub wird Deutschlands neues Wunderkind, da gab es von Kurve und Medien keine Zweifel.

Dann zwei, drei Mal falsch abgebogen, zu hoch gepokert, Schlangen im Ohr, Verletzungen in Serie, Hauptsache Quantensprünge statt step by step. In Gelsenkirchen zu viel Druck, doch selbst auch die „10“ gefordert, dann nur noch weg, in Wolfsburg ohne Glanz und Konstanz, in Paris meist auf der Bank. Von Löw zurecht nicht für die EM nominiert, wirkt die Vertragsverlängerung bei PSG wie ein Sargnagel. Karriere vorbei, denkt man. Über einen 27-Jährigen! Wer wird sich an Draxler in zehn Jahren erinnern? Über welche Titel und Erfolge wird man reden?

2011: Julian Draxler über den Köpfen von Papadopoulos und
Raúl. Zuvor hatte der 17-Jährige in Minute 119 den Siegtreffer erzielt und Schalke ins DFB-Halbfinale geführt.

Im Geld schwimmen und bei PSG kicken ist das Eine. Niemand wird sagen: Hey Jule, du hast in deinem Leben nichts erreicht, ganz im Gegenteil. Doch viele werden sich erinnern an dieses gewisse Etwas, das nur ganz, ganz Wenigen auf dieser Welt in die Füße gelegt wird, und dann denken: Was ist das im Endeffekt doch alles traurig. Wir gehören dazu.

Grillfest mit Extrawürsten

Obwohl es den „Störchen“ erlaubt ist, verzichtet Holstein Kiel also auf Publikum beim Saisonfinale gegen Darmstadt 98. Bei einem Spiel, in dem jeder Schrei und jedes Klatschen bei dem Husarenstück helfen könnte, als erster Verein Schleswig-Holsteins in die Bundesliga aufzusteigen. Das ist lobenswert wie heldenhaft, weil sich ein Verein die viel zitierten und x-fach durchgebratenen Extrawürste des Profifußballs während der Pandemie endlich einmal nicht auf den Teller legt. Und was machen andere Clubs? Statt die Saison demütig auslaufen zu lassen, werden kurz vor Ladenschluss die Schreibtische auf links gedreht, um irgendwie und möglichst maximal die Stadien mit Menschen zu füllen. Union Berlin öffnet 2000 Fans die Türen, Hansa Rostock erwartet über 7000, beim 1. FC Köln hofft man derweil inständig auf grünes Licht.

Was ist das nur für ein unsolidarisches Verhalten gegenüber all den anderen Vereinen, bei denen aufgrund zu hoher Inzidenzen kein einziger Fan auf den Rängen denkbar ist? Offenbar gibt es „den Fußball“ doch nicht im Kollektiv, von Demut gegenüber den Fans anderer Clubs ganz zu schweigen. Obendrein kommt dieser miese Beigeschmack der Wettbewerbsverzerrung und das Erhaschen eines Vorteils gegenüber direkten Mitkonkurrenten hinzu. Nun mag der oder die andere sagen, dass das doch lobenswert und als Dankeschön für die Fans nach so einer langen Pause zu verstehen sei. Diese Sichtweise teilen wir nicht. Vielmehr empfinden wir Fremdscham bei dem Gedanken, dass manche Verantwortliche am Ende des Tages doch wieder nur auf ihr eigenes Grillfest schauen. Sinkende Inzidenzwerte sind schließlich kein Verdienst von Fußballvereinen, sondern ein Ergebnis aus gesellschaftlichem Verhalten, medizinischer Versorgung und sozialem Engagement. Ein Dankeschön wäre nur dann glaubhafter Natur, wenn man auf alle Fans verweisen würde, um so einen großen gemeinsamen Startschuss am ersten Spieltag der kommenden Saison zu feiern. Denn „weder sollte der Profifußball für sich eine Sonderrolle in der Gesellschaft reklamieren – denn auch in anderen Veranstaltungsbranchen sind derzeit keine Zuschauer zugelassen – noch möchte die KSV Holstein eine Bevorzugung gegenüber anderen Sportvereinen im Land erfahren“, wie Kiel-Boss Schneekloth sagt.


Was wäre es doch für ein versöhnliches Zeichen gewesen, wenn sich alle Profivereine abgestimmt und dem Vorbild Holstein Kiels gefolgt wären. Ein einziges Mal die Füße stillhalten, ein einziges Mal nicht auf Paragraphen und gegebenes Recht schauen. Doch so zeigt sich nun die gleiche beschämende Erkenntnis wie schon zu Beginn von Corona: Wenn Extrawürste auf dem Grill liegen, stehen manche Verantwortliche mit gewetzten Messern bereit.

Als Kohfeldt hätte gehen müssen

Was die Gesamtentwicklung von Werder Bremen betrifft, bräuchte es mehrere Akten mitsamt Unterordnern. Vom familiären Selbstverständnis bis zum Malen nach ausschließlich schwarzen Zahlen wäre alles dabei bei den Gründen für dieses Drama kurz vor Ladenschluss. Einen Punkt möchten wir rückblickend nochmal wiederholen und das betrifft die erfolgreiche Relegation gegen Heidenheim in der letzten Saison. Es wäre der optimale Zeitpunkt gewesen, um mit Florian Kohfeldt getrennte Wege zu kommunizieren. Beide Seiten, Verein und Trainer, hätten diese Spielzeit als Gewinner verlassen. Das romantische Werder-Dogma, auf Gedeih und Verderb am Trainer festzuhalten, hatte sich schließlich trotz Nervenkitzel wieder einmal als erfolgreich herausgestellt, die Verantwortlichen hatten inmitten heftiger Sturmböen Ruhe bewahrt und gewonnen.

Nach zehn Bundesliga-Spieltagen ohne Sieg muss sich der SV Werder am letzten Spieltag einem Shootout stellen.

Ein besseres Momentum für einen sauberen Schnitt, inklusive Umarmung und Danksagung, hätte es nicht geben können, um auf Augenhöhe zu sagen: Danke für alles Florian, wir haben gemeinsam Berge erklommen und Täler durchschritten. Jetzt trinken wir zusammen ein frisches Haake, du wirst als gefragter Trainer deinen Weg gehen und wir stellen uns neu auf. All das wurde verpasst, ab dem ersten Spieltag der Folgesaison stand das Konstrukt Bode-Baumann-Kohfeldt zwangsläufig unter Beobachtung. An Baumann festzuhalten bedeutete an Kohfeldt festzuhalten bedeutete sich gegenseitig festzuhalten. Und wer nach einem haarscharf vermiedenen Abstieg kaum Veränderungen vornimmt und mit dem bekannten wie gefährlichen Es-wird-schon-irgendwie-gutgehen-Motto in die Saison startet, der darf sich über vorprogrammierte Skepsis nicht wundern.

Hinzu kam schließlich in der aktuellen Saison, dass Köln und Schalke Woche für Woche die Goldene Himbeere für die schlechteste Performance abräumten, die Klarheit über Werders ideenlosen Fußball kam medial kaum Ausdruck. Und das, obwohl es derselbe ideenlose Fußball war, der schon letzte Saison in die Relegation führte. Jetzt, wo sich ein einziges Schaaf auf dem Deich der Flut entgegenstellt, ist festzuhalten: Das 2:2 in der Relegation gegen Heidenheim war ein Geschenk des Himmels, um ohne Gesichts- und DNA-Verlust präventive Maßnahmen einzuleiten. Bode und Baumann haben diese Zeichen der Zeit verkannt und sollten sich jener Tatenlosigkeit mit Rücktritten stellen. Die Entlassung Kohfeldts nach dem 33. Spieltag ist dafür kein Argument, sondern ein Beweis.

Heute hier, morgen dort

Erstmal also das Corona-Nachholspiel zwischen Schalke und Hertha trotz Corona und Quarantäne. Dann das Pokalfinale an einem Feiertag und keinem Wochenende und erst um 20:45 Uhr statt wie früher um 20 Uhr, damit Kinder am nächsten Tag noch ausgeschlafener die Schule genießen können. Währenddessen startet Manchester United gegen Liverpool, ebenfalls ein Nachholspiel, nachdem am eigentlichen Termin viel Fans der Red Devils von machtversessenen Besitzern die Nase voll hatten. Samstag dann endlich wieder volles Rohr Bundesliga, alle zusammen und zeitgleich. Moment, geht ja gar nicht, Pokalfinale war ja erst vorgestern. So können auch Mainz und Wolfsburg erstmal ganz entspannt dem Treiben ihrer direkten Konkurrenten zuschauen.

Am 22. und 23. Mai dann endlich letzter Spieltag von erster, zweiter und dritter Liga, sodass Fans und Spielern 19 Tage bleiben, um sich optimal auf die EM vorzubereiten. Das können natürlich nicht alle von sich sagen. Am 26. Mai steigt nämlich nicht nur das Hinspiel der Bundesliga-Relegation, sondern auch das Finale der Europa League. Wer das verpassen sollte, kann sich beruhigen: Am 29. Mai findet neben dem Rückspiel der Bundesliga-Relegation auch das Champions-League-Finale statt. Dazwischen und danach gibt es am 27. und 30. Mai noch ganz geschmeidig die Relegation zur 2. Bundesliga.

Die Aufstiegsrunde zur 3. Liga, in der der Meister der Regionalliga-Nord auf den Sieger der Play-Off-Runde Bayern trifft, beginnt dann am 12. Juni, wenn zeitgleich Wales auf die Schweiz in Baku, Dänemark auf Finnland in Kopenhagen und Belgien auf Russland in St. Petersburg treffen. Und wenn am 19. Juni das finale Rückspiel um den Aufstieg in Liga drei stattfindet, messen sich in Budapest Ungarn und Frankreich, in Sevilla Spanien und Polen sowie in München Deutschland und Portugal. Dann Vollgas bis 11. Juli EM durchziehen, dann schnell den Rasen mähen und am 06. August wieder erste Runde DFB-Pokal und am 13. August wieder Bundesliga satt genießen. Gute Unterhaltung!